Die Arche
Gehörgang, und noch
einen Moment später – wobei sie nicht genau sagen konnte,
wie schnell die Zeit tatsächlich verging – hatte die
Unterdrücker-Maschine ihr Gehirn erreicht. Ein Sturzbach von
Empfindungen, wirren Gefühlen und Bildern rauschte rasend
schnell und kunterbunt durcheinander an ihr vorbei, gefolgt von dem
Eindruck, sie würde wie ein langes Magnetband aufgedröselt
und begutachtet. Sie wollte schreien oder sonst eine menschliche
Reaktion zeigen, aber sie war wie gelähmt. Selbst ihr Denken war
von den eingedrungenen schwarzen Maschinen blockiert. Die
teerähnliche Masse hatte sich so breit gemacht, dass für
die Entität, die sich einmal als Khouri definiert hatte, kaum
noch Raum blieb. Dennoch hatte sich so viel von ihr erhalten, dass
sie selbst in dieser Bedrängnis Datenströme in zwei
Richtungen registrierte. Während die Kommunikationsleitungen
ihren Schädel abfischten, nahm sie undeutlich wahr, wie die
alles erstickende Schwärze aus ihrem Kopf, den Stamm entlang,
durch das Schiff und zurück in den Maschinenklumpen glitt, der
es umgab.
Sie spürte sogar Thorn, der ebenfalls in dieses Netzwerk zur
Informationsgewinnung eingebunden war. Seine Gedanken waren, soweit
vorhanden, ein Echo der ihren. Auch er fühlte sich gelähmt,
erdrückt, unfähig zu schreien oder sich auch nur
vorzustellen, wie erlösend ein Schrei sein könnte. Sie
suchte ihn zu erreichen, um ihn zumindest wissen lassen, dass sie
noch da war, dass jemand im Universum nachempfinden konnte, was er
litt. Und dabei spürte sie, wie Thorn das Gleiche versuchte. Sie
fassten sich sozusagen im Neuralraum an den Händen wie zwei
Liebende, die in einem Tintenmeer ertranken. Der Analyseprozess ging
weiter, die Schwärze drang in die ältesten Teile ihres
Bewusstseins vor. Es war das Schlimmste, was sie je erlebt hatte,
schlimmer als jede simulierte oder echte Folter, der sie einst auf
Sky’s Edge ausgesetzt worden war. Nicht einmal die Mademoiselle
hatte sie so missbraucht, und der einzige Trost bestand darin, dass
sie sich ihrer eigenen Identität zunehmend weniger bewusst war.
Wenn auch der letzte Rest verschwunden wäre, wäre sie
frei.
Dann veränderte sich etwas. An der Grenze dessen, was sie
durch die datensammelnden Kanäle spürte, am Rand der Wolke,
die ihr Schiff umschloss, gab es eine Bewegung. Auch Thorn
spürte sie: ein schwacher Hoffnungsfunke drang durch die
Verästelungen zu ihr. Doch die Hoffnung war unbegründet,
dachte sie. Die Maschinen formierten sich nur neu, um sich auf die
nächste Phase des Erstickungsprozesses vorzubreiten.
Doch das war ein Irrtum.
Ein drittes Bewusstsein drängte sich in ihre Gedanken, ein
Bewusstsein, das nichts mit Thorn zu tun hatte. Es war so klar und
ruhig wie eine Glocke, und es war frei vom Würgegriff der
schwarzen Maschinen. Es strahlte Neugier und nicht geringe Besorgnis
aus, auch Angst spürte sie, aber nicht das nackte Entsetzen, das
Thorn um sich verbreitete. Diese Angst war nur eine besonders stark
ausgeprägte Vorsicht. Zugleich fand Khouri ein Stück weit
zu sich selbst zurück, als hätte der schwarze Druck ein
wenig nachgelassen.
Das dritte Bewusstsein kam näher, und sie erschrak, soweit
sie dazu noch in der Lage war, denn es war ein Bewusstsein, das sie
kannte. Sie war ihm nie auf dieser Ebene begegnet, aber die Kraft
seiner Persönlichkeit durchdrang sie wie eine Trompete, die eine
vertraute Melodie spielte. Es war der Geist eines Mannes, dem
Zweifel, Bescheidenheit oder Mitgefühl für die Sorgen und
Nöte anderer stets mehr oder weniger fremd gewesen waren. Doch
nun blitzte ein wenig Reue darin auf und vielleicht sogar etwas wie
Fürsorge. Doch bevor Khouri vollends zu dieser Erkenntnis
gelangt war, zuckte der Eindringling zurück und schirmte sich
wieder ab. Sie spürte nur noch einen starken Nachhall.
Und dann schrie sie aus Leibeskräften, denn sie konnte sich
wieder bewegen. Im gleichen Augenblick zersprang der Stamm mit
durchdringendem Klirren. Sie schlug die Augen auf und war von einer
Wolke wild durcheinander purzelnder schwarzer Würfel umgeben.
Die schwarze Wand vor dem Schott löste sich auf. Die Würfel
suchten miteinander zu verschmelzen. Gelegentlich entstanden
größere schwarze Gebilde, aber sie hielten höchstens
eine Sekunde, bevor sie wieder auseinander brachen. Auch Thorn war
nicht länger an seinen Sitz gefesselt. Er erhob sich und
schaufelte haufenweise schwarze Würfel beiseite, um Khouri aus
dem Netz zu befreien.
»Hast du eine Ahnung, was
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