Die Arche
mit einem Mal sehr müde.
»Nein. Das war nur Schau. Sie hat nur den Anschein erweckt,
verstehst du? In Wirklichkeit gab es keinen einzigen Toten.«
»Und das weißt du ganz genau?«
»Ich war dabei.«
Der Rumpf knirschte und gestaltete sich abermals um. Bald
würden sie die elektromagnetische Zone des Gasriesen verlassen.
Die Unterdrücker-Anlage arbeitete unbeirrt weiter: die
sub-atmosphärischen Röhren schoben sich langsam voran, der
große Orbitalbogen baute sich auf. Was soeben im Innern von Roc
geschehen war, hatte keinen Einfluss auf den großen Plan.
»Erzähl mir davon, Ana. Heißt du eigentlich
wirklich so, oder ist der Name nur eine weitere Lügenschicht,
die ich abschälen muss?«
»Ich heiße Ana«, sagte sie, »aber nicht
Vuilleumier. Das ist ein Deckname, ein Kolonistenname. Wir haben eine
Geschichte für mich erfunden, eine Vergangenheit, die es mir
ermöglichte, mich in die Regierung einzuschleusen. Mein
richtiger Name ist Khouri. Und ich gehörte tatsächlich zur
Besatzung des Triumvirn. Ich kam mit der Sehnsucht nach
Unendlichkeit hierher. Wir wollten Sylveste holen.«
Thorn verschränkte die Arme. »Jetzt kommen wir endlich
weiter.«
»Die Besatzung wollte nur Sylveste, nichts sonst. Sie hatten
nichts gegen die Kolonie. Die ganze Kampagne sollte nur eine
Gewaltbereitschaft vorgaukeln, die in Wirklichkeit nicht vorhanden
war. Aber Sylveste war uns über. Er wollte den Neutronenstern
Hades und das Cerberus-Objekt erforschen, das ihn umkreist und setzte
die Ultras so lange unter Druck, bis sie bereit waren, ihm mit ihrem
Schiff dabei zu helfen.«
»Und danach? Was geschah dann? Wieso seid ihr beiden nach
Resurgam zurückgekehrt, wenn ihr ein ganzes Raumschiff für
euch alleine hattet?«
»Du hast ja schon erraten, dass es auf dem Schiff Ärger
gab. Ganz verfluchten Ärger sogar.«
»Eine Meuterei?«
Khouri nagte an der Unterlippe und nickte. »Wahrscheinlich
standen wir zu dritt gegen alle anderen. Ilia und ich und Sylvestes
Frau Pascale. Wir wollten nicht, dass Sylveste das Hades-Paar
erforschte.«
»Pascale? Du meinst Pascale Girardieu?«
Khouri erinnerte sich, dass Sylvestes Frau die Tochter eines der
mächtigsten Politiker der Kolonie gewesen war. Ihr Vater war an
die Macht gekommen, nachdem man Sylveste wegen seiner
Überzeugungen abgesetzt hatte.
»Ich kannte sie nicht allzu gut. Sie ist jetzt tot. Mehr oder
weniger.«
»Mehr oder weniger?«
»Was jetzt kommt, ist nicht leicht zu begreifen, Thorn. Du
musst mir einfach glauben, ja? Auch wenn es noch so unwahrscheinlich,
so verrückt klingt. Aber nach allem, was wir eben erlebt haben,
bist du vielleicht etwas aufgeschlossener als zuvor.«
Er legte den Finger an die Unterlippe. »Probieren wir es doch
aus.«
»Sylveste und seine Frau sind in Hades eingegangen.«
»Du meinst doch sicher das andere Objekt? Cerberus?«
»Nein«, sagte sie mit Nachdruck. »Ich meine Hades.
Sie haben den Neutronenstern betreten, und dabei stellte sich heraus,
dass er sehr viel mehr ist als ein Neutronenstern. Eigentlich ist er
gar kein Neutronenstern, sondern ein Riesencomputer, der von Aliens
zurückgelassen wurde.«
Er zuckte die Achseln. »Du hast Recht, ich habe heute schon
einige seltsame Dinge erlebt. Und? Wie ging es weiter?«
»Sylveste und seine Frau befinden sich in diesem Computer und
laufen dort wie Programme. Vielleicht wie Alpha-Simulationen.«
Sie nahm mit erhobenem Zeigefinger seinen Einwand vorweg. »Ich
weiß es, Thorn, weil ich selbst zu einem kurzen Besuch dort
war. Ich begegnete Sylveste, nachdem Hades ihn gespeichert hatte. Ich
traf auch Pascale. Und wahrscheinlich wurde auch von mir eine Kopie
angefertigt und gespeichert. Aber ich – dieses Ich hier –
ist nicht geblieben. Ich kehrte ins reale Universum zurück und
war seither nicht wieder dort. Ich habe auch nicht vor, den
Neutronenstern jemals wieder zu betreten. Man kommt nicht so leicht
hinein, es sei denn, man ist bereit, sich von den ungeheuren
Gravitationswirkungen zerreißen zu lassen.«
»Aber du glaubst, das Bewusstsein, das wir gespürt
haben, war Sylveste?«
»Ich weiß es nicht«, seufzte sie. »Sylveste
weilt seit Jahrhunderten subjektiver Zeit im Innern von Hades, Thorn
– für ihn ist es wahrscheinlich wie eine Ewigkeit. Was uns
allen vor sechzig Jahren widerfahren ist, kann für ihn nur noch
eine schwache Erinnerung aus frühesten Zeiten sein. Er hatte die
Muße, sich in einer Weise zu entwickeln, wie wir es uns in
unseren kühnsten Phantasien nicht
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