Die Arche
sich die tieferen Eindrücke,
mnemonische Strukturen, die gleich großen überfluteten
Monumenten im Dunkeln verschwanden. Nichts hinderte sie, auch diese
Schichten zu sichten und zu analysieren, aber sie waren ebenfalls
nicht von Belang. Auf dem Grund entdeckte sie einige persönliche
Erinnerungen, die der Mann so abgeschirmt hatte, dass er glaubte, sie
könnte sie nicht lesen. Es kribbelte ihr in den Fingern, auf die
Blockaden zuzugreifen und sie so zu verändern, dass die eine
oder andere kleine Erinnerung, die er besonders schätzte,
für ihn selbst nicht mehr zugänglich wäre. Aber sie
widerstand der Versuchung; es genügte zu wissen, dass sie es
hätte tun können.
Sie spürte, wie der Mann seinerseits in ihr Bewusstsein
einzudringen versuchte, und schmetterte ihn ab. Er zuckte erschrocken
zurück, aber sie spürte seine Neugier, die stumme Frage,
was ein Mitglied des Inneren Konzils auf dem Schiff zu suchen
hatte.
Das amüsierte sie. Dieser Mann wusste zwar, dass es das
Innere Konzil gab, und hatte womöglich sogar von dessen
supergeheimem Kern, dem ›Allerheiligsten‹ gehört. Aber
von der Existenz des Nachtkonzils hatte er sicherlich nicht die
leiseste Ahnung.
Dann war er vorüber, und sie setzte ihren Weg fort.
[Bedenken, Skade?]
Natürlich. Wir spielen mit Gottes Feuer. Wer stürzt
sich schon bedenkenlos in ein solches Abenteuer?
[Die Wölfe warten nicht, bis wir für sie bereit
sind, Skade.]
Sie war empört. Sie an die Wölfe zu erinnern, war
wahrhaftig nicht nötig. Zugegeben, Angst war ein wirksamer
Ansporn, aber mit Angst allein ließ sich nicht alles erreichen.
Auch das Manhattan-Projekt wurde nicht an einem Tag erbaut, wie ein
altes Sprichwort sagte. Oder war das Rom gewesen? Jedenfalls
irgendetwas auf der alten Erde.
Ich habe die Wölfe nicht vergessen.
[Gut, Skade. Wir auch nicht. Und wir halten es für mehr
als unwahrscheinlich, dass die Wölfe uns vergessen
haben.]
Damit zog sich das Nachtkonzil in einen kleinen, unauffindbaren
Winkel in ihrem Kopf zurück, um dort seinen nächsten
Auftritt abzuwarten.
Als Skade die Brücke der Nachtschatten erreichte,
pulsierte ihr Mähnenkamm in hellen Rot- und Rosatönen. Die
Brücke war ein fensterloser, kugelförmiger Raum tief im
Innern des Schiffes, groß genug, dass fünf oder sechs
Synthetiker sich darin aufhalten konnten, ohne sich beengt zu
fühlen. Im Moment war sie jedoch nur mit Clavain und Remontoire
besetzt, und die waren schon da gewesen, bevor Skade gegangen war.
Die beiden hingen in Beschleunigungsnetzen in der Mitte der Kugel und
hörten die weitere sensorische Umgebung der Nachtschatten ab. Doch so, wie sie da lagen, die Augen geschlossen, die Arme
über der Brust verschränkt, wirkten sie fast, als schliefen
sie.
Während Skade wartete, bis der Raum ein weiteres Netz
über sie geworfen und sie in ein schützendes Geflecht
lianenähnlicher Ranken gehüllt hatte, drang sie nur zum
Zeitvertreib in das Bewusstsein der zwei anderen ein. Remontoire lag
offen vor ihr, selbst die dem Inneren Konzil vorbehaltenen Bereiche
waren nur mit Grenzlinien und nicht mit festen Barrieren markiert.
Sein Bewusstsein war wie eine gläserne Stadt, hier und dort
etwas trübe, aber nie ganz undurchsichtig. Die Abschirmungen des
Inneren Konzils zu durchdringen, war mit das Erste gewesen, was ihr
das Nachtkonzil beigebracht hatte, und davon hatte sie auch noch
profitiert, nachdem sie dem Konzil selbst beigetreten war. Nicht alle
Angehörigen dieses Gremiums kannten auch alle seine Geheimnisse
– man denke nur an das Allerheiligste –, aber Skade blieb
nichts verborgen.
Clavain machte es ihr sehr viel schwerer, und das war auch der
Grund, warum er sie zugleich faszinierte und beunruhigte. Er hatte
von allen Synthetikern die weitaus ältesten Neuralimplantate,
und er hatte nie einer Nachrüstung zugestimmt. Große Teile
seines Gehirns waren gar nicht ins Netz integriert, und die
Neuralverbindungen zwischen diesen Regionen und den
Synthetiker-Partien waren spärlich und ungünstig verteilt.
Skade konnte zwar mit ihren Such-und-Zugriffs-Algorithmen aus allen
ins Netz integrierten Teilen auch dieses Gehirns Neuralmuster
extrahieren, aber das war leichter gesagt als getan. Das Verfahren
war so ähnlich, als hätte man die Schlüssel zu einer
sagenumwobenen Bibliothek, durch die soeben ein Wirbelwind gerast
war. Bis sie endlich lokalisiert hatte, wonach sie suchte, war es im
Allgemeinen nicht mehr von Belang.
Dennoch hatte sie eine Menge herausgefunden.
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