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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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die
mithelfen, solche Unwahrheiten unter das Volk zu bringen, und sich
bei der Regierung für alle Unannehmlichkeiten entschuldigt, die
ihr daraus entstanden sein könnten.«
    Der Sprecher verlas auch diese Sätze mit unbewegter Miene.
Tatsächlich hatte er sich beim ersten Überfliegen des
Textes vergeblich das Gehirn zermartert. Er konnte sich nicht
erinnern, dass Thorn sich in irgendeiner Weise öffentlich
geäußert hätte, schon gar nicht in Form einer Kritik
an seinen eigenen Aktivitäten. Aber auszuschließen war es
nicht, vielleicht hatte er den fraglichen Auftritt nur nicht
mitbekommen.
    In verändertem Tonfall fuhr er fort. »In Zusammenhang
damit… nach neuesten Veröffentlichungen des
Wissenschaftlichen Instituts in Mantell muss die bisherige
Erklärung für das am Abendhimmel zu beobachtende Objekt
revidiert werden. Man ist inzwischen davon abgekommen, dass es sich
dabei um einen Kometen handelt, und hält es für
wahrscheinlicher, dass das Objekt in irgendeiner Beziehung zum
größten Gasriesen des Systems steht. Die Demokratische
Regierung von Cuvier weist jedoch die Behauptung, der Planet selbst
sei zerstört worden oder werde derzeit zerstört,
entschieden zurück. Alle diesbezüglichen Gerüchte
werden von böswilligen Kräften in Umlauf gebracht und sind
aufs Strengste zu verurteilen.«
    Der Sprecher hielt abermals inne, ein winziges Lächeln
umspielte seine Lippen. »Soweit die Erklärung der
Demokratischen Regierung von Cuvier.«
    * * *
    An Bord der Sehnsucht nach Unendlichkeit rauchte Ilia
Volyova eine der Zigaretten zu Ende, die ihr das Schiff beschafft
hatte, aber eigentlich schmeckte sie ihr nicht. Sie dachte so
angestrengt nach, dass ihr der Schädel brummte wie ein
überhitzter Turbinenraum. Der Schiffsschleim unter ihren
Stiefeln hatte die gleiche Konsistenz wie Rotz. Vom ständigen
Dröhnen der Bilgenpumpen wurden ihre Kopfschmerzen auch nicht
besser. Dennoch war sie in einer gewissen Hochstimmung, denn sie sah
ihren Weg endlich klar vor sich.
    »Ich freue mich sehr, dass Sie nun doch mit mir reden wollen,
Captain«, sagte sie. »Sie können sich nicht
vorstellen, was das nach all der Zeit für mich
bedeutet.«
    Seine Stimme kam von allen Seiten, sie klang nah und fern zugleich
und erschien Ilia so alterslos und unermesslich, als spräche ein
Gott zu ihr. »Es tut mir Leid, dass es so lange gedauert
hat.«
    Jede Silbe ließ das ganze Schiff erbeben. »Darf ich
fragen, warum es so lange gedauert hat, Captain?«
    Wenn überhaupt, dann antwortete er selten sofort. Volyova
hatte den Eindruck, dass er lange brauchte, um seine Gedanken zu
ordnen. Vielleicht hatte die ungeheure Größe auch eine
ungeheure Verlangsamung zur Folge, so dass er bei Gesprächen mit
ihr seine Denkprozesse nicht in Echtzeit umsetzen konnte.
    »Ich musste erst mit gewissen Dingen zu Rande kommen,
Ilia.«
    »Mit welchen Dingen, Captain?«
    Wieder eine endlose Pause. Es war nicht ihre erste Unterhaltung,
seit der Captain den Kontakt wiederaufgenommen hatte.
    Anfangs hatte Ilia noch bei jeder Schweigephase befürchtet,
er könnte wieder für längere Zeit in seine
katatonische Starre fallen. Die Anfälle erschienen ihr weniger
schwer – alle Funktionen des Schiffs liefen normal weiter
–, dennoch war die Angst vor einem verheerenden Rückfall
immer präsent. Womöglich musste sie Monate warten, bis er
sich wieder zu einer Äußerung herbeiließ. Aber so
schlimm war es nie gekommen. Wenn der Captain schwieg, bedeutete das
nur, dass er nachdachte. Die Signale brauchten Zeit, um durch das
unendliche Synapsengewebe des transformierten Schiffes zu stolpern
und sich zu Gedanken zu verbinden. Und es war erstaunlich, wie
bereitwillig er auf Themen einging, die bisher tabu gewesen
waren.
    »Mit meinen Taten, Ilia. Mit den Verbrechen, die ich begangen
habe.«
    »Keiner von uns ist ohne Schuld, Captain.«
    »Meine Schuld war ungewöhnlich groß.«
    Ja, dachte sie: das war nicht zu leugnen. Der Captain hatte
ahnungslose Aliens, die Musterschieber, ohne ihr Wissen zu seinen
Komplizen gemacht und mit ihrer Hilfe ein Mitglied seiner Besatzung
aufs Übelste missbraucht. Die Schieber waren in seinem Auftrag
in den Kopf des Mannes eingedrungen und hatten ihm sein, John
Brannigans, Bewusstsein aufgeprägt: eine weitaus vollkommenere
Persönlichkeitsübertragung, als sie mit technischen Mitteln
jemals möglich gewesen wäre. So hatte er über viele
Jahre Schiffszeit als zwei Menschen existiert, von denen einer
langsam unter der Einwirkung

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