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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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betrug nicht mehr als zehn bis zwanzig Meter
pro Sekunde, so dass er zwar zahlreiche Prellungen und Quetschungen,
aber keine schwereren Verletzungen davontrug. Das Glück blieb
ihm auch treu, als der Hauptantrieb mit seinen aufgeblähten
chemischen Treibstofflungen hochging. Die Explosion rammte das Modul
noch tiefer in das Karussell hinein, aber das überlebte Lyle
ebenfalls.
    Bei aller Dankbarkeit an das Schicksal war ihm klar, dass er in
gewaltigen Schwierigkeiten steckte. Der Aufprall war nicht an der am
dichtesten besiedelten Stelle des Karussellrings erfolgt, dennoch gab
es viele Opfer. Das Felgeninnere war perforiert worden, und die Luft
entwich durch das Loch in der Außenhülle. An dieser Stelle
war ein Erholungspark gewesen, eine kleine Waldlichtung, die von
Hängelampen erhellt wurde.
    In jeder anderen Nacht wären allenfalls ein paar Dutzend
Menschen und Tiere dort gewesen, um die synthetische Landschaft im
Mondlicht zu betrachten. Doch als Lyle abstürzte, hatte vor
mehreren hundert Zuhörern eine Mitternachtsaufführung einer
der volkstümlicheren Quirrenbach-Symphonien stattgefunden. Die
meisten hatten überlebt, aber viele nur mit schwersten
Verletzungen. Auch Todesfälle hatte es gegeben: dreiundvierzig
nach amtlicher Zählung, Lyle selbst nicht eingeschlossen. Und es
konnten durchaus mehr gewesen sein.
    Lyle versuchte nicht zu fliehen. Er wusste, das sein Schicksal
besiegelt war. Schon für seine Weigerung, der ersten
Aufforderung nachzukommen, hätte er die Todesstrafe verdient,
aber selbst wenn er sich da noch herausgewunden hätte – was
mit viel Glück nicht ganz unmöglich gewesen wäre
–, jetzt konnte niemand mehr etwas für ihn tun. Seit das
einst so prächtige Glitzerband infolge der Schmelzseuche
zum Rostgürtel verkommen war, galt Vandalismus gegen
Habitats als eines der abscheulichsten Verbrechen. Die dreiundvierzig
Toten waren dagegen fast eine Bagatelle.
    Lyle Merrick wurde gefangen genommen, wegen der Kollision vor
Gericht gestellt und verurteilt. Er wurde in allen Punkten der
Anklage für schuldig befunden. Das Urteil lautete auf
irreversiblen Neuraltod, und da bekannt war, dass er sich hatte
scannen lassen, kam die Mandelstam-Entscheidung zur Anwendung.
    Besondere Ferrisville-Beamte mit dem Spitznamen
›Löschköpfe‹ wurden beauftragt, alle vorhandenen
Alpha- oder Beta-Simulationen von Lyle Merrick ausfindig zu machen
und zu zerstören. Die Löschköpfe hatten den gesamten
Justizapparat des Konvents hinter sich und verfügten über
ein ganzes Arsenal von seuchenfester Jäger-und-Sucher-Software,
mit der sie alle bekannten Datenbanken oder Archive durchkämmen
und die eventuell darin versteckten Strukturen einer verbotenen
Simulation herausfiltern konnten. Sie konnten sogar öffentliche
Datenbanken löschen, bei denen lediglich der Verdacht bestand,
sie enthielten eine illegale Kopie. Und sie leisteten ganze
Arbeit.
    Jim Bax hatte nicht vor, seinen Freund im Stich zu lassen. Bevor
sich das Netz zuzog, ließ er mit Hilfe von Lyles anderen
Freunden, darunter einigen äußerst zwielichtigen Figuren,
die jüngste Sicherheitskopie seiner Alpha-Simulation
verschwinden, bevor sie in die Hände des Gesetzes fallen konnte.
Die Aufzeichnungen der Scan-Klinik wurden so geschickt manipuliert,
dass der Eindruck entstand, als hätte Lyle seinen letzten Termin
verpasst. Die Löschköpfe brüteten über den
Indizien und rätselten tagelang an gewissen Unstimmigkeiten
herum. Doch letzten Endes entschieden sie, die fehlende Alpha-Kopie
hätte nie existiert. Ansonsten hatten sie ihren Auftrag
erfüllt und alle anderen bekannten Simulationen
aufgespürt.
    So konnte sich Lyle Merrick in gewissem Sinne der Gerechtigkeit
entziehen.
    Die Sache hatte allerdings einen Haken, und hier ließ Jim
Bax nicht mit sich reden. Er bestand darauf, Lyles
Alpha-Persönlichkeit selbst in seine Obhut zu nehmen und sie an
einem Ort zu verstecken, wo die Behörden wahrscheinlich niemals
nach ihr suchen würden. Lyle sollte die Unterpersönlichkeit
seines Schiffs ersetzen. Die Alpha-Simulation eines echten
menschlichen Bewusstseins sollte an die Stelle der Kollektion von
Algorithmen und Subroutinen treten, aus denen eine
Gamma-Persönlichkeit bestand. Die fiktive Person sollte gegen
ein echtes Bewusstsein oder zumindest die Simulation der Neuralmuster
eines echten Bewusstseins ausgetauscht werden.
    Ein reales Gespenst sollte in die Maschine einfahren.
    »Aber warum?«, fragte Antoinette. »Warum wollte Dad
es so

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