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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Rechtfertigungen
anzuhören.
    Endlich verrauchte ihr Zorn, und sie fing an zu weinen. Xavier
fasste sie an den Handgelenken und hinderte sie behutsam daran,
weiter auf ihn einzudreschen.
    »Antoinette«, sagte er.
    Sie versetzte ihm einen letzten Hieb, dann brach sie in haltloses
Schluchzen aus. Sie wusste nicht mehr, ob sie ihn hasste oder
liebte.
    »Es ist nicht meine Schuld«, sagte Xavier. »Ich
schwöre dir, es ist nicht meine Schuld.«
    »Warum hast du mir nichts gesagt?«
    Er sah sie an, und sie erwiderte unter Tränen seinen Blick.
»Warum ich dir nichts gesagt habe?«
    »Das war meine Frage.«
    »Weil ich es deinem Vater versprechen musste.«
    * * *
    Als Antoinette sich beruhigt hatte und bereit war, Xavier
anzuhören, erzählte er ihr, was damals geschehen war.
    Jim Bax war viele Jahre lang mit Lyle Merrick befreundet gewesen.
Beide waren Frachterpiloten, die innerhalb des Rostgürtels und in der näheren Umgebung flogen. Unter normalen
Umständen wären zwei Piloten im gleichen Geschäft
nicht so ohne weiteres durch alle Höhen und Tiefen einer
systemumspannenden Wirtschaft aufrichtige Freunde geblieben; sie
wären einander zu oft ins Gehege gekommen. Aber Jim und Lyle
arbeiteten in verschiedenen Nischen mit verschiedenen
Kundenstämmen, und deshalb war ihre Beziehung nie von
Konkurrenzneid bedroht. Jim Bax beförderte schwere Lasten auf
schnellen Flugbahnen, gewöhnlich kurzfristig und
gewöhnlich, wenn auch nicht immer, halbwegs im Rahmen der
Legalität. Er bemühte sich nicht um Kunden aus kriminellen
Kreisen, obwohl er sie auch nicht direkt abwies, wenn sie denn kamen.
Lyle dagegen arbeitete fast ausschließlich mit Kriminellen,
denn die hatten erkannt, dass ein langsamer, schrottreifer,
unzuverlässiger Frachter mit Chemieantrieb wohl das letzte
Raumschiff wäre, für das sich die Kutter der Zoll- und
Steuerfahndung des Ferrisville-Konvents interessierten. Lyle konnte
nicht garantieren, dass eine Fracht schnell – oder
überhaupt – an ihren Bestimmungsort gelangte, aber er
konnte so gut wie immer garantieren, dass sie eintraf, ohne
kontrolliert zu werden, und ohne dass unbequeme Fragen nach seinen
Auftraggebern gestellt wurden. So gelangte sein Unternehmen zu
beachtlicher Blüte. Er gab sich große Mühe, seine
Gewinne vor den Behörden zu verbergen und den Eindruck zu
erwecken, als stünde er ständig kurz vor dem Bankrott. Doch
hinter den Kulissen war er für die damaligen Verhältnisse
einigermaßen wohlhabend, wesentlich wohlhabender, als Jim Bax
es jemals werden sollte, wohlhabend genug, um einmal im Jahr in einer
der Alpha-Scan-Kliniken im Baldachin von Chasm City eine
Sicherheitskopie von sich anfertigen zu lassen.
    Mit dieser Nummer war Lyle viele Jahre lang durchgekommen. Bis zu
dem Tag, an dem ein gelangweilter Polizeikutter sein Augenmerk nur
deshalb auf ihn richtete, weil er noch nie Ärger gemacht hatte
und deshalb sicher irgendetwas im Schilde führte. Der Kutter
setzte sich mühelos an die Seite seines Frachters und forderte
Lyle auf, sein Haupttriebwerk abzuschalten und sich auf ein
Andockmanöver vorzubereiten. Diesem Befehl konnte Lyle
unmöglich nachkommen. Sein ganzer Ruf hing davon ab, dass seine
Frachten niemals kontrolliert wurden. Die Drohne an Bord zu lassen,
wäre einer Bankrotterklärung gleichgekommen.
    So blieb ihm nichts anderes übrig als zu fliehen.
    Glücklicher- oder vielmehr unglücklicherweise befand er
sich bereits im Anflug auf das Karussell New Copenhagen. Er wusste, dass es auf der Felge einen Reparaturschacht gab, der
für sein Schiff gerade groß genug war. Es würde knapp
werden, aber wenn er es schaffte, diesen sicheren Hafen zu erreichen,
könnte er wenigstens die Fracht zerstören, bevor sich die
Drohnen den Zutritt erzwangen. Auch dann hätte er noch
genügend Ärger zu erwarten, aber er hätte zumindest
seine Kunden nicht verraten, und das zählte für Lyle mehr
als sein eigenes Schicksal.
    Er schaffte es natürlich nicht. Beim letzten Schub hetzten
ihn die Kutter – inzwischen hatten sie ihn zu viert in die Zange
genommen und bereits Bremskrallen auf seinen Rumpf abgeschossen
– so sehr, dass er einen Fehler machte und mit der
Außenfläche der Felge kollidierte. Niemand war mehr
überrascht als Lyle selbst, dass er den Aufprall überlebte.
Das stumpfe Lebenserhaltungs- und Habitatmodul seines Frachters hatte
sich durch die Außenhülle des Karussells gebohrt wie der
Schnabel eines Vögelchens durch die Eierschale. Seine
Aufprallgeschwindigkeit

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