Die Arche
betrug bereits zwanzig
Minuten, und da das Lichtschiff weiterhin mit zehn Ge beschleunigte,
wurde die Entfernung ständig größer. Er konnte sich
hier genau dreißig Minuten aufhalten, bevor er den
Rückflug antreten musste. Bliebe er auch nur eine Minute
länger, dann würde er das Lichtschiff nie mehr
einholen.
Die Zeit würde knapp reichen, um einen Korridor zwischen den
Luftschleusen zweier unbekannter Schiffe zu improvisieren, an Bord zu
gehen und nach Clavains Tochter, oder wer die Person sein mochte, zu
suchen.
Wen er retten sollte, war ihm egal, es genügte, dass der
Befehl dazu von Scorpio kam. Selbst wenn Scorpio nur tat, was Clavain
von ihm verlangte, spielte das keine Rolle und tat der glühenden
Verehrung, die Lasher für seinen General hegte, keinen Abbruch.
Er hatte Scorpios Aufstieg verfolgt, seit der zum ersten Mal nach
Chasm City gekommen war.
Scorpios Einfluss auf die Schweine war kaum zu unterschätzen.
Bis zu seiner Ankunft waren sie ein heillos zerstrittener Haufen
gewesen, zufrieden damit, in den verschissensten Vierteln der
verkommenen Stadt herumzuwühlen. Scorpio hatte sie elektrisiert.
Er war zu einem Messias der Verbrecherwelt geworden, eine so
sagenumwobene Gestalt, dass viele Schweine an seiner Existenz
zweifelten. Lasher hatte Scorpios Verbrechen mit dem Eifer eines
religiösen Fanatikers gesammelt und im Gedächtnis bewahrt,
um sie immer wieder zu studieren und ihre geniale Brutalität und
haiku-ähnliche Einfachheit zu bestaunen. Wie mochte man sich
fühlen, hatte er sich gefragt, wenn man solche Juwelen der
Grausamkeit ersonnen hatte? Später war er in Scorpios Dunstkreis
geraten und durch die zwielichtigen Hierarchien der kriminellen
Unterwelt aufgestiegen. Als er Scorpio zum ersten Mal persönlich
gegenüberstand, hatte er mit leiser Enttäuschung
festgestellt, dass sein Held nur ein Schwein war wie alle anderen.
Doch mit der Zeit hatte diese Erkenntnis seine Bewunderung sogar noch
gesteigert. Dass Scorpio aus Fleisch und Blut war, machte seine
Leistungen umso bemerkenswerter. Der anfangs noch scheue Lasher war
bald einer von Scorpios wichtigsten Agenten und schließlich
einer seiner Stellvertreter geworden.
Und dann war Scorpio verschwunden. Man munkelte, er sei im All, um
mit anderen kriminellen Gruppen im System – vielleicht mit den
Raumpiraten – schwierige Verhandlungen zu führen.
Für Scorpio war es immer gefährlich, den Mulch zu
verlassen, und im Krieg galt das erst recht. Lasher hatte sich
schließlich mit der plausiblen, aber schwer erträglichen
Erkenntnis abgefunden, dass sein verehrter Führer wahrscheinlich
tot war.
Monate waren vergangen. Dann hatte Lasher die große
Neuigkeit erfahren: Scorpio befinde sich sozusagen in Gewahrsam. Die
Spinnen hätten ihn gefangen, aber zuvor hätten ihn schon
die Zombies am Wickel gehabt. Und nun übe wiederum der
Ferrisville-Konvent Druck auf die Spinnen aus und verlange Scorpios
Auslieferung.
Und damit war alles vorbei. Scorpios glanzvoll unrühmliche
Herrschaft war zu Ende. Der Konvent konnte ihm jedes nur denkbare
Verbrechen anhängen, und in Kriegszeiten gab es kaum ein
Verbrechen, auf das nicht die Todesstrafe gestanden hätte. Die
Obrigkeit hatte die Trophäe ergattert, hinter der sie so lange
her gewesen war. Ein Schauprozess würde folgen, eine
Hinrichtung, und damit wäre Scorpio endgültig zur
Sagengestalt geworden.
Doch alles kam anders. Die Gerüchte widersprachen sich wie
üblich, aber einige stimmten doch überein – Scorpio
sei am Leben und wohlauf und würde von niemandem mehr
festgehalten; Scorpio sei nach Chasm City zurückgekehrt und
hätte sich in dem bedrohlich düsteren Gebäude
verschanzt, das einige Schweine unter dem Namen Château des
Corbeaux kannten und in dessen Kellern es angeblich spukte. Er sei
Gast des geheimnisumwitterten Schlossherrn und stelle nun die Truppe
zusammen, von der so oft gesprochen worden war, ohne dass sie bisher
realisiert worden wäre.
Die Armee der Schweine.
Lasher hatte Verbindung zu seinem früheren Herrn gesucht und
erfahren, dass die Gerüchte stimmten. Scorpio arbeitete für
einen alten Mann namens Clavain, vielleicht pflegten die beiden auch
eine seltsame Partnerschaft. Jedenfalls planten sie, den Ultras ein
Schiff zu stehlen, ein Schurkenstück, das in keinem orthodoxen
Handbuch des Verbrechens überhaupt in Erwägung gezogen,
geschweige denn für möglich gehalten wurde. Lasher
hörte es erschrocken und fasziniert zugleich, besonders, als er
erfuhr, dass der
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