Die Arche
Sie seit Beginn Ihres Feldzugs
verloren?«
»Genau null.«
Der Servomat beugte sich über sie. »Ilia…
hören Sie mir ganz genau zu. Wie viele Geschütze haben Sie
verloren?«
»Was heißt hier ›verloren‹? Drei haben
versagt. So viel zur Zuverlässigkeit der Synthetiker-Technik.
Zwei weitere waren ohnehin nur einmal zu verwenden. Ich würde
dabei nicht von ›Verlusten‹ sprechen, Clavain.«
»Sie haben also kein Geschütz durch gegnerisches Feuer
eingebüßt?«
»Zwei wurden beschädigt.«
»Genauer gesagt, sie wurden völlig zerstört, nicht
wahr?«
»Ich empfange noch immer telemetrische Daten von ihren
Kontrollgittern. Um das Ausmaß der Schäden abschätzen
zu können, müsste ich mich schon auf das Schlachtfeld
begeben.«
Clavain trat zurück. Er war womöglich noch eine Spur
bleicher geworden. Nun schloss er die Augen und murmelte etwas vor
sich hin. Es klang wie ein Gebet.
»Sie hatten ursprünglich vierzig Geschütze. Meiner
Rechnung nach haben sie bisher neun davon verloren. Wie viele sollen
es noch werden, Ilia?«
»So viele wie nötig.«
»Sie können Resurgam nicht retten. Sie kämpfen
gegen Kräfte, die Ihr Vorstellungsvermögen
übersteigen. Auf diese Weise verschleudern Sie die wertvollen
Waffen. Wir müssen sie in der Hinterhand behalten, bis wir sie
so einsetzen können, dass sie auch tatsächlich etwas
bewirken. Dies ist nur eine kleine Vorhut der Wölfe, später
kommen noch viele mehr. Aber wenn wir die Geschütze untersuchen,
können wir sie vielleicht nachbauen und tausende davon
herstellen.«
Diesmal sah Khouri ganz deutlich, wie Ilia lächelte.
»Und was ist mit ihren hochtrabenden Beteuerungen von eben,
Clavain? Der Zweck heilige nicht die Mittel – haben Sie selbst
auch nur ein Wort davon geglaubt?«
»Ich weiß nur eines. Auch wenn Sie die Waffen jetzt
verheizen, müssen alle Bewohner von Resurgam sterben. Der
Unterschied ist nur, dass sie später sterben, und dass Millionen
weiterer Menschen mit in den Tod gerissen werden. Übergeben Sie
uns die Geschütze aber jetzt, dann haben wir immer noch Zeit,
etwas zu bewirken.«
»Ich soll zweihunderttausend Menschen sterben lassen, um in
der Zukunft Millionen zu retten?«
»Nicht Millionen, Ilia. Milliarden.«
»Sie hatten mich fast so weit, Clavain. Ich dachte schon, sie
wären jemand, mit dem sich eine gemeinsame Basis finden
ließe.« Sie lächelte, als wäre es das letzte Mal
in ihrem Leben. »Aber ich habe mich wohl geirrt?«
»Ich bin kein schlechter Mensch, Ilia. Ich weiß nur
sehr genau, was jetzt zu tun ist.«
»Sie sagten selbst, dass solche Menschen die
gefährlichsten sind.«
»Bitte unterschätzen Sie mich nicht. Ich werde mir diese
Geschütze holen.«
»Sie sind noch Wochen entfernt, Clavain. Bis Sie hier
eintreffen, bin ich bereit, Sie gebührend zu
empfangen.«
Darauf sagte Clavain nichts. Khouri wusste nicht, wie sie sein
Schweigen deuten sollte, aber es beunruhigte sie sehr.
* * *
Das Schiff ragte über ihr auf, als wolle es sein
Reparaturgerüst sprengen. Die Innenbeleuchtung der Sturmvogel war eingeschaltet und in den oberen Fenstern des Flugdecks sah
Antoinette die Umrisse von Xaviers Gestalt. Er war eifrig bei der
Arbeit. In einer Hand hatte er ein Notebook, den Eingabestift hielt
er mit den Zähnen fest, und mit der anderen Hand bewegte er
über seinem Kopf die antiquierten Kippschalter hin und her.
Dabei machte er sich wie üblich fleißig Notizen. Der
ewige Buchhalter, dachte sie.
Antoinette ließ sich von ihrem Exoskelett in eine stehende
Position bringen. Hin und wieder bescherte Clavain der Besatzung ein
paar Stunden bei normaler Schwerkraft und Trägheit, aber jetzt
war das nicht der Fall. Sie hatte Dutzende von schmerzenden
Druckstellen, wo die Stützpolster und die haptischen
Bewegungssensoren ihre Haut berührten. So abartig es war, sie
freute sich beinahe auf die Ankunft vor Delta Pavonis, wenn sie die
Skelette endlich ablegen konnten.
Sie nahm sich viel Zeit, die Sturmvogel zu betrachten. Sie
war nicht mehr hier gewesen, seit sie so fluchtartig davongelaufen
war. Damals hatte sie das Schiff nicht mehr betreten wollen, weil sie
es nicht mehr als ihre Heimat empfunden hatte. Seither schienen
Monate vergangen zu sein, und ihr Zorn hatte sich – beinahe
– gelegt.
Ziemlich sauer war sie noch immer.
Ihr Schiff war jedenfalls bereit für den Kampf. Ein
ungeschultes Auge hätte äußerlich keine großen
Veränderungen feststellen können. Die Geschütze, die
man neben den bereits
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