Die Arche
zu
beschützen, Antoinette.«
Sie zuckte die Achseln. »Dieser Teil des Abkommens betraf nur
euch beide. Mich geht er nichts an. Von jetzt an entscheide ich
selbst, welche Risiken ich eingehe, auch wenn ich dabei mein Leben
aufs Spiel setze. Kapiert?«
»Ja… Antoinette.«
Sie stand auf. »Ach ja, und noch etwas.«
»Ja?«
»Sag nie wieder ›Kleine Miss‹ zu mir.«
* * *
Khouri war im Auffanglager, um sich den Evakuierten zu zeigen und
ihnen das Gefühl zu geben, man hätte sie nicht vergessen,
als das ganze Schiff so unerwartet und heftig einen Satz zur Seite
machte, dass sie von den Beinen gerissen und gegen die nächste
Wand geschleudert wurde. Das tat weh. Khouri fluchte, tausend
Möglichkeiten gingen ihr durch den Kopf, aber das erschrockene
Gebrüll der zweitausend Passagiere übertönte jeden
Gedanken. Sekundenlang schrien alle wild durcheinander, dann wurde es
ruhiger, nur ein dumpfes Grollen blieb. Die Bewegung hatte sich nicht
wiederholt, aber die Illusion, sich auf diesem Schiff in einer festen
und stabilen Welt zu befinden, war, so vorhanden, gründlich
zerstört.
Um Schadensbegrenzung bemüht, ging Khouri durch das Labyrinth
von kleineren Räumen. Aber sie konnte nicht mehr tun, als den
Familien und Individuen, die sie anhalten wollten, um sich zu
erkundigen, was eigentlich vorging, beruhigend zuzuwinken. Sie wusste
es ja selbst noch nicht.
Man hatte schon vorher vereinbart, dass sich bei unerwarteten
Ereignissen alle ihre Stellvertreter versammeln sollten. Ein Dutzend
von ihnen erwartete sie bereits. Sie wirkten kaum weniger verschreckt
als die Menschen in ihrer Obhut.
»Vuilleumier…«, riefen sie ihr wie im Chor
entgegen.
»Verdammt, was war das eben?«, fragte einer. »Die
Leute haben sich die Knochen gebrochen und sind wie von Sinnen. Warum
hat uns denn niemand gewarnt?«
»Ein Ausweichmanöver«, sagte sie. »Das Schiff
hat ein Stück Raumschutt entdeckt, das direkt auf uns zukam. Es
war schon zu spät, um es abzuschießen, deshalb ist es zur
Seite gesprungen.« Die Ausrede war nicht überzeugend, klang
aber zumindest im Ansatz vernünftig. »Deshalb gab es auch
keine Vorwarnung«, fügte sie noch hinzu. »An sich ist
das ein gutes Zeichen: es heißt, dass die Sicherheitssysteme
noch funktionieren.«
»Sie haben nie gesagt, dass das fraglich wäre«,
bemerkte der Mann.
»Aber jetzt wissen wir es ganz genau, nicht wahr?« Dann
wies sie ihre Stellvertreter an, die Passagiere über die
plötzliche Bewegung zu beruhigen und sich darum zu kümmern,
dass die Verletzten versorgt würden.
Zum Glück war niemand getötet worden, und bei den
Verletzungen handelte es sich um glatte Brüche, die mit
einfachen Mitteln gerichtet werden konnten. Niemand brauchte aus dem
Auffanglager auf die Krankenstation verlegt zu werden. Als eine, dann
zwei Stunden lang nichts passierte, kehrte gespannte Ruhe ein.
Offenbar war Khouris Erklärung von der Mehrheit der Evakuierten
akzeptiert worden.
Großartig, dachte sie. Jetzt brauche ich nur noch
mich selbst zu überzeugen.
Eine Stunde später gab es abermals eine Bewegung.
Diesmal war sie weniger heftig. Khouri verlor nur das
Gleichgewicht und musste sich hastig irgendwo festhalten. Diesmal
fluchte sie nicht aus Überraschung, sondern weil sie wirklich
wütend war. Sie hatte keine Ahnung, was sie den Passagieren nun
noch erzählen sollte. Die erste Erklärung hatte sicher sehr
an Glaubwürdigkeit verloren. Sie entschied sich, zunächst
keine Stellung zu beziehen. Sollten ihre Untergebenen sich doch
selbst einen Reim auf das Geschehen machen. Wenn sie ihnen etwas Zeit
ließ, fiele ihnen vielleicht eine bessere Ausrede ein als ihr
selbst.
Sie kehrte zu Ilia Volyova zurück. Unterwegs kam ihr alles
ziemlich merkwürdig vor. Alles wirkte irgendwie verschoben, ohne
dass sie hätte sagen können, woran das lag. Jede senkrechte
Fläche schien um eine Winzigkeit aus dem Lot zu sein. Der Boden
war nicht mehr vollkommen eben, so dass sich in den
überschwemmten Bereichen die flüssigen Absonderungen auf
einer Seite des Korridors sammelten. Wo der Schiffsschleim von den
Wänden tropfte, fiel er nicht mehr senkrecht, sondern deutlich
schräg. Als sie Volyovas Bett erreichte, konnte sie die
Veränderungen nicht mehr ignorieren. Sie hatte Mühe, sich
aufrecht zu halten, und fand es einfacher und sicherer, immer an
einer Wand zu bleiben.
»Ilia.«
Sie war zum Glück wach und beschäftigte sich mit ihrem
Display. Clavains Beta-Kopie stand neben ihr, hatte die
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