Die Arche
er einmal dem
Pöbel gegenüberstehen würde. Die Mobbildung war eine
emergente Eigenschaft von Menschenmassen, und folglich war er selbst
für die Entstehung dieses Mobs verantwortlich. Das hieß
allerdings nicht, dass ihm sein Werk auch gefallen musste.
Genug, dachte er. Er hatte kein Recht, die Menschen, die er
gerettet hatte, nur deshalb zu verachten, weil sie ihre Ängste
zeigten. Wäre er einer von ihnen gewesen, er hätte sich
sicher auch nicht wie ein Heiliger benommen. Er hätte wie sie
mit allen Mitteln versucht, seine Familie von diesem Planeten zu
retten, auch wenn er dazu einem anderen die Fluchtmöglichkeit
verbauen musste.
Aber er gehörte nicht zum Pöbel. Er war derjenige, der
einen Weg gefunden hatte, den Planeten zu verlassen. Er war
derjenige, der die Flucht möglich gemacht hatte.
Das konnte er sich doch immerhin gutschreiben.
Da – eine Bewegung am Himmel. Das Transfer-Shuttle passierte
den Zenith und verschwand im Schatten. Erleichterung flackerte auf.
Es war noch da. Es musste seine Bahn genau einhalten, denn jede
Abweichung konnte einen Angriff des planetaren Verteidigungssystems
provozieren. Khouri und Volyova hatten ihre Krallen in viele Bereiche
der Regierung geschlagen, aber es gab immer noch einige
Behörden, auf die sie nur indirekt hatten Einfluss nehmen
können. Eine davon war das Amt für Zivilverteidigung, ein
besonders schwieriger Fall, denn ihm waren die Einrichtungen
unterstellt, die eine Wiederholung des Volyova-Zwischenfalls
verhindern sollten. Das Amt hatte reaktionsschnelle, mit heißem
Staub bestückte Orbitalraketen, die ein Raumschiff aus der
Umlaufbahn schießen konnten, bevor es zu einer Gefahr für
die ganze Kolonie wurde. Die kleineren Schiffe der Ultras hatten
durch die Radarnetze schlüpfen können, aber das
Transfer-Shuttle war für solche Spielchen zu groß. So
hatte man nach langem Schachern und mit verstecktem Druck erreicht,
dass die Raketen der Zivilverteidigung in ihren Bunkern blieben,
vorausgesetzt, das Shuttle und die beiden Raumfähren hielten
sich streng an die ihnen zugewiesenen Korridore. Thorn wusste das und
war eigentlich sicher, dass die Avionik-Systeme der verschiedenen
Schiffe entsprechend eingestellt waren, dennoch atmete er jedes Mal
erleichtert auf, wenn das Shuttle wieder in Sicht kam.
Sein Mobiltelefon klingelte. Thorn fischte das klobige Ding aus
der Manteltasche und tippte mit dick behandschuhten Fingern
ungeschickt auf den Tasten herum. »Thorn.« Er erkannte die
Stimme. Jemand aus der Telefonvermittlung der
Inquisitionsbehörde.
»Eine Aufzeichnung von der Sehnsucht nach Unendlichkeit. Soll ich sie durchstellen, oder wollen Sie die Nachricht
abhören, wenn Sie im Orbit sind?«
»Stellen Sie bitte durch.« Er wartete einen Augenblick,
und als er das leise Schnarren der elektromechanischen Relais und das
Zischen des Analogbandes hörte, malte er sich aus, wie sich die
schwarze Telefonanlage der Inquisitionsbehörde diensteifrig in
Bewegung setzte, um seinen Auftrag auszuführen.
»Thorn, hier Vuilleumier. Hören Sie genau zu. Kleine
Planänderung. Es ist eine lange Geschichte, aber wir fliegen
näher an Resurgam heran. Ich werde veranlassen, dass die
Navigationskoordinaten für das Transfer-Shuttle aktualisiert
werden, darum brauchen Sie sich also nicht zu kümmern. Aber von
jetzt an könnten die Flüge einiges weniger als
dreißig Stunden dauern. Vielleicht kommen wir sogar so nahe
heran, dass wir das Shuttle überhaupt nicht mehr benötigen,
sondern die Menschen direkt auf die Unendlichkeit bringen
können. Das heißt, die Flüge in den Orbit können
in kürzeren Abständen stattfinden. Nur noch
fünfhundert Fährenflüge, und wir haben die gesamte
Planetenbevölkerung evakuiert. Thorn, ich sehe mit einem Mal
wieder so etwas wie eine Chance. Können Sie auf Ihrer Seite
alles Nötige veranlassen?«
Thorn schaute auf die wimmelnde Menge hinab. Khouri erwartete wohl
eine Antwort. »Vermittlung, bitte Folgendes aufzeichnen und
senden.« Er wartete anstandshalber eine Weile, dann begann er.
»Hier Thorn. Nachricht erhalten. Ich werde mein Möglichstes
tun, um die Evakuierung zu beschleunigen, sobald ich sicher sein
kann, dass das auch sinnvoll ist. Doch zunächst möchte ich
zur Vorsicht mahnen. Wenn sich die dreißigstündige
Flugzeit verkürzen lässt, wunderbar. Dafür haben Sie
meine volle Unterstützung. Aber Sie dürfen mit dem
Raumschiff nicht zu dicht an Resurgam heranfliegen. Selbst wenn Sie
nicht den halben Planeten zu Tode
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