Die Arche
heranfliegen. Warum hätte ich ihm noch mehr
aufbürden sollen, als er ohnehin zu tragen hat?«
»Richtig«, erwiderte Volyova und nickte. Sie war
ausnahmsweise einmal der gleichen Meinung. »Im Weltraum sind die
Menschen mindestens ebenso sicher wie auf Resurgam. Sobald sie den
Planeten erst verlassen haben, haben sie wenigstens eine
Überlebenschance. Sie ist zwar nicht groß,
aber…«
»Und du willst die Weltraumgeschütze wirklich nicht
einsetzen?«
»Ich werde sie einsetzen, Khouri, aber keinen
Augenblick früher als nötig. Hast du noch nie den Ausdruck
vom ›Weißen im Auge des Feindes‹ gehört? Mag
sein; so etwas wissen wahrscheinlich nur Soldaten.«
»Ich habe vom Soldatenleben mehr vergessen, als du jemals
gewusst hast, Ilia.«
»Vertrau mir einfach. Ist das zu viel verlangt?«
* * *
Zweiundzwanzig Minuten später begann die Schlacht. Clavains
Eröffnungssalve fiel so schwach aus, dass es fast eine
Beleidigung war. Volyova hatte die Signaturen von Railgun-Werfern
entdeckt, die mit Wellen elektromagnetischer Energie ein kleines
dichtes Projektil auf ein- bis zweitausend Kilometer pro Sekunde
beschleunigen konnten. Von ihren Abschussbasen unweit der Zodiakallicht brauchten die Projektile eine Stunde, um sie zu
erreichen. Wenn sie an die Grenze ihrer Auflösung ging, konnte
sie die kreuzförmigen Gitterkonstruktionen der Werfer selbst
sehen und die dicht aufeinander folgenden Materie-Antimaterie
Explosionen beobachten, die nicht nur die Projektile auf
Endgeschwindigkeit brachten, sondern dabei auch die Railgun-Werfer
zerstörten. Clavain hatte nicht genügend Railguns, um die
gesamte nähere Umgebung ihres Schiffes damit zu
beschießen, deshalb konnte sie einen Treffer einfach dadurch
vermeiden, dass sie – oder vielmehr der Captain – die Sehnsucht nach Unendlichkeit ständig durch unberechenbare
Kurswechsel jagte, dabei aber darauf achtete, niemals den
Raumabschnitt anzufliegen, wo sie eine Stunde zuvor gewesen war, und
wo das jeweils fällige Projektil einschlagen musste.
Zunächst geschah genau das, ohne dass sie den Captain dazu
aufzufordern brauchte. Er verfügte über die gleichen
militärischen Informationen wie sie und war offenbar auch
imstande, die gleichen Schlüsse daraus zu ziehen. Sie
spürte ein leises Schwanken und Schaukeln, als stünde ihr
Bett auf einem Floss auf unruhiger See. Die Sehnsucht nach
Unendlichkeit gab kurze, kräftige Schubstöße aus
den vielen Korrekturdüsen am Rumpf ab, die sie sonst im Orbit
hielten.
Aber das war noch nicht alles.
Da ihre Fernsensoren die Signaturen der Railguns und der
elektromagnetischen Raketenwerfer auffingen, konnte sie sehr genau
feststellen, in welche Richtung ein bestimmtes Projektil abgeschossen
worden war. Eine gewisse Unsicherheit war vorhanden, aber sie war
nicht sehr groß, und Volyova machte sich einen Spaß
daraus, so lange wie möglich auf der Stelle zu verharren und ihr
Schiff erst im allerletzten Augenblick weg zu bewegen. Sie ließ
Simulationen über das taktische Display laufen, um dem Captain
den projizierten Aufschlagpunkt jedes neu abgeschossenen Projektils
zu zeigen, und stellte erfreut fest, dass er seine Strategie darauf
einstellte. Dieses Verfahren gefiel ihr besser, es war eleganter und
treibstoffsparender. Sie hoffte nur, dass Clavain auch begriff, was
sie damit bezweckte.
Er sollte klüger werden, damit sie ihn noch weiter
übertrumpfen konnte.
* * *
Clavain sah, wie die letzte seiner Railguns ihr Projektil abschoss
und sich mit einer Serie von rasch aufeinanderfolgenden und sehr
heftigen Explosionen selbst zerstörte.
Der Angriff hatte vor einer Stunde begonnen, und er hatte nicht
ernsthaft damit gerechnet, allzu viel zu erreichen. Er wollte den
Triumvirn nur beschäftigen und von anderen Elementen seines
Plans ablenken. Hätte eines der Projektile ihr Schiff getroffen,
so hätte es beim Aufschlag etwa eine Kilotonne kinetischer
Energie freigesetzt; genug, um das Lichtschiff kampfunfähig zu
machen, vielleicht sogar genug für einen Hüllenbruch, aber
nicht genug, um es vollends zu zerstören. Zwar bestand noch
immer eine geringe Chance auf Erfolg – die letzten vier
Projektile waren noch unterwegs –, aber Ilia Volyova hatte
bereits bewiesen, dass sie dieser Gefahr gewachsen war. Clavain
verspürte kaum Bedauern; er war eher erleichtert, dass die Phase
der Verhandlungen vorüber war und man sich in die sehr viel
ehrlichere Arena der gewalttätigen Auseinandersetzung begeben
hatte. Und er konnte sich
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