Die Arche
sich mit diesem theatralischem Gehabe verdächtig machte.
»Kann ich dich Ilia nennen?«
»Ich nenne mich selbst so. Nur die Volyova lassen wir vorerst
besser weg. Man sollte nicht übermütig werden.«
»Auf keinen Fall. Eigentlich wollte ich sagen…«
Wieder sah sie sich um. Sie konnte nicht anders. »Ich freue
mich, dich wiederzusehen, Ilia. Ich müsste lügen, wenn ich
es abstreiten wollte.«
»Du hast mir auch gefehlt. Seltsam, wenn man bedenkt, dass
wir anfangs nahe daran waren, uns gegenseitig umzubringen. Alles
vorbei und vergessen.«
»Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Du hattest so lange
nichts von dir hören lassen…«
»Ich hatte gute Gründe, mich in Zurückhaltung zu
üben, meinst du nicht auch?«
»Mag sein.«
Beide schwiegen minutenlang. Khouri, die jetzt wieder wagte, sich
wenigstens in Gedanken mit ihrem richtigen Namen zu bezeichnen,
dachte daran zurück, wie dieses verwegene Spiel einst angefangen
hatte. Sie hatten es sich selbst ausgedacht und sich dabei
gegenseitig mit ihrer Dreistigkeit und ihrem Einfallsreichtum
verblüfft. Gemeinsam waren sie tatsächlich kaum zu
schlagen. Dennoch hatten sie festgestellt, dass sie am meisten
erreichten, wenn jeder für sich arbeitete.
Endlich hielt Khouri es nicht länger aus und brach das
Schweigen. »Heraus damit, Ilia. Hast du gute oder schlechte
Nachrichten?«
»Du kennst meinen Ruf. Was glaubst du?«
»Ich soll raten? Schlecht. Sehr schlecht sogar.«
»Treffer.«
»Die Unterdrücker, nicht wahr?«
»Schrecklich, wie leicht ich zu durchschauen bin. Du hast es
erfasst.«
»Sie sind hier?«
»Ich denke schon.« Volyova sprach jetzt sehr leise. »Irgendetwas geht jedenfalls vor. Ich habe es selbst
gesehen.«
»Erzähl mir davon.«
Volyovas Stimme wurde womöglich noch leiser. Khouri musste
sich anstrengen, um sie zu verstehen. »Maschinen, Ana, riesige
schwarze Maschinen sind in das System eingedrungen. Ich habe sie
nicht kommen sehen. Sie waren auf einmal – da.«
Khouri hatte einst eine kurze Kostprobe vom Bewusstsein dieser
Maschinen bekommen, in Form von uralten Aufzeichnungen von
erschreckender Kälte und räuberischer Wildheit. Sie waren
wie Raubtiere, erfahren, geduldig, im Dunkeln beheimatet. Ihr Denken
war ein Irrgarten aus Instinkten, Gier und Intelligenz, ohne Mitleid,
ohne Gefühle irgendwelcher Art. Wenn der Blutgeruch des Lebens
sie wieder einmal aus dem Winterschlaf gerissen hatte, ließen
sie ihr Geheul durch die stillen Weiten der Galaxis schallen und
versammelten sich in Scharen.
»Du meine Güte.«
»Wir können nicht so tun, als hätten wir nicht
damit gerechnet, Ana. Nachdem Sylveste angefangen hatte, an Dinge zu
rühren, von denen er nichts verstand, war es nur noch eine Frage
des Wann und Wo.«
Khouri starrte ihre Freundin an. Die Temperatur im Raum schien
jäh um zehn bis fünfzehn Grad gefallen zu sein. Ilia
Volyova, der allseits gefürchtete, verhasste Triumvir war klein
und etwas schmuddelig wie eine Stadtstreicherin. Ihr kurz
geschnittenes Haar bildete ein grau gesprenkeltes Strohdach über
dem runden Gesicht mit den harten Augen, dem man die fernen
mongolischen Vorfahren immer noch ansah. Als Unglücksbotin
wirkte sie nicht sehr überzeugend.
»Ich habe Angst, Ilia.«
»Dazu hast du auch allen Grund, wenn du mich fragst. Aber
behalte deine Angst bitte für dich. Noch wollen wir die
Eingeborenen nicht erschrecken.«
»Was können wir tun?«
»Gegen die Unterdrücker?« Volyova runzelte die
Stirn und blinzelte durch ihr Glas, als dächte sie über
diese Frage zum ersten Mal ernsthaft nach. »Ich weiß es
nicht. Die Amarantin waren mit ihren Aktionen nicht sehr
erfolgreich.«
»Wir sind keine Vögel, die nicht fliegen
können.«
»Nein, wir sind Menschen – die Geißel der
Galaxis… oder so ähnlich. Ich weiß nicht, Ana. Ich
weiß es wirklich nicht. Wenn es nur um uns beide ginge und wenn
es uns gelänge, das Schiff beziehungsweise den Captain aus
seinem Schneckenhaus herauszulocken, wäre Flucht immerhin eine
Möglichkeit. Notfalls könnte man sogar daran denken, die
Weltraumgeschütze einzusetzen.«
Khouri überlief ein Schauer. »Aber selbst wenn, und
selbst wenn wir entkämen, wäre Resurgam damit nicht
geholfen.«
»Nein. Und ich weiß nicht, wie es bei dir ist, Ana,
aber mein Gewissen ist ohnehin nicht gerade
blütenweiß.«
»Wie viel Zeit haben wir noch?«
»Das ist das Merkwürdige daran. Die Unterdrücker
hätten Resurgam bereits zerstören können, wenn sie nur
das gewollt hätten
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