Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
Bei Ebbe stritten sie um das Vorrecht, ihr beizubringen, wie man an den felsigen Riffen in der Nähe der Höhlen die Krabbenreusen befestigte. Remana hatte ihr versprochen, daß sie ihr im Frühjahr, sobald es ruhig genug dazu war, selbst das Segeln beibringen würde. Und sie wollte Zanna in das Geheimnis einweihen, wie man den einen sicheren Weg durch das trügerische Labyrinth der unterirdischen Riffe finden konnte.
Im Winter bestand ein großer Teil der Arbeit für die jüngeren, kräftigeren Männer darin, die Schiffe und ihre Ausrüstung zu reparieren und zu warten. Während draußen die Schneestürme wüteten, zeigten die Frauen Zanna, wie man Netze, Seile und Segel flickt und wie aus Lumpenfäden und rohem Sackleinen die Teppich gemacht wurden, die ihre Füße vor der Kälte der Steinfußböden bewahrten. Außerdem weihten sie sie in die Geheimnisse ihrer wunderschönen, raffinierten Weberei ein, die sie benutzten, um die warmen Wandbehänge anzufertigen, die die düstere Finsternis der Höhlen aufhellten.
Das waren gesellige Zeiten, erfüllt von Lachen und Plaudern, Schwatzen und Neckereien zwischen den jungen Frauen. Es gab auch eine Menge Gerede über die gutaussehenden, wettergegerbten jungen Männer und darüber, wer in wen verliebt war und wer heiraten würde. Zu diesen Zeiten war Zanna zufrieden damit, einfach nur zuzuhören und sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Obwohl Tarnal ihr ergebener Schatten geworden war, hatte sie bereits entschlossen, daß sie keinen anderen als Yanis heiraten würde, denn vom ersten Tag an hatte sie ihn geliebt. Glücklicherweise, oder auch vielleicht unglücklicherweise, hatte der Führer der Nachtfahrer bisher noch keine Ahnung von dem Schicksal, das sie für ihn entworfen hatte – und nun würde er vielleicht auch niemals davon erfahren, denn Zanna mußte fort.
Zanna hielt in dem dunklen Eingang, der zu der großen Hafenhöhle führte, inne, wie gelähmt von dem Ansturm der glücklichen Erinnerungen, die ihr jetzt solchen Schmerz bereiteten. Wütend schüttelt sie den Kopf und wischte sich die Tränen weg. Das würde ihr nicht helfen. Drei kurze Monate lang war sie glücklich gewesen, bis die Botschaft von der jüngsten Katastrophe in Nexis gekommen war. Eine Botschaft von Ungeheuern, gräßlicher, als je ein Mensch es sich hätte vorstellen können; Ungeheuer, die viele Tote gefordert hatten. Sie hatten auch davon gehört, daß der Erzmagusch die Macht ergriffen hatte und die Stadt in seinem Würgegriff des Entsetzens hielt. Und keine Nachricht von Vannor, der seit jener entsetzlichen Nacht, in der so viele gestorben waren, spurlos verschwunden war.
Als Remana ihr diese Neuigkeiten überbracht hatte, waren Zannas Schuldgefühle darüber, Vannor verlassen zu haben, mit überwältigender Macht zurückgekehrt. Sie hatte sofort gewußt, was sie tun mußte. Sie mußte nach Nexis zurückkehren, um ihren Vater zu finden oder zumindest herauszubekommen, was mit ihm geschehen war. Wenn die Nachtfahrer ihren Plan durchschaut hätten, hätten sie sie natürlich niemals gehen lassen – das war auch der Grund, warum sie jetzt spät in der Nacht hier herumschlich und sich auf ihre Flucht vorbereitete.
Es war eine glückliche Fügung, daß es in den letzten Tagen viel gestürmt hatte und die Pferde daher unten in den Ställen der Höhlen standen. Der Schneesturm, der draußen tobte, würde die Reise sowohl schwierig als auch gefährlich gestalten, aber Zanna glaubte, daß es reichen würde, wenn sie an diesem Abend nur irgendwo irgendeine Stelle zum Schlafen finden konnte – dann, wenn sie auf diese Weise die Verfolger, die Remana ihr zweifellos hinterherschicken würde, abgeschüttelt hatte, konnte sie ihren Weg bei Tageslicht fortsetzen. Es sollte doch nicht zu schwierig sein, über die Moore hinweg nach Nexis zu finden? Sie hoffte es jedenfalls.
Zanna spähte in den Bogengang hinein, um nach dem Wachposten, der bei Nacht auf die Schiffe aufpaßte, Ausschau zu halten. Als er in Sichtweite kam und seine Schritte über den Kiesstrand knirschten, stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus. Bisher schien ihr Plan zu funktionieren. Sie hatte sich mit einem letzten Rest von Geduld dazu gezwungen, zu warten, bis Tarnal abends Dienst hatte. Nun holte sie tief Luft und trat ihm entgegen.
»Du bist aber noch spät auf!« Tarnal klang überrascht, aber wie sie erwartet hatte, leuchteten seine braunen Augen bei ihrem Anblick auf. Ach du liebe Güte, dachte Zanna – ich hoffe,
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