Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
dieser Königin, ganz bestimmt nicht.«
Harihn drehte sich abrupt um und sah Anvar an. »Was willst du damit sagen?«
Anvars Augen glimmten. »Ich meine, Hoheit, daß Sara – die Khisihn – unfruchtbar ist. Sie hat Euren Vater belogen, wie sie mich belogen hat. So, wie die Dinge liegen, seid Ihr immer noch der einzige königliche Erbe. Ihr könnt eines Tages zurückkehren – wenn Ihr das wollt.«
Harihns Augen weiteten sich. »Bist du sicher?«
»Absolut sicher, Euer Hoheit.«
»Aurian, wußtest du davon?«
Die Magusch schüttelte den Kopf; Anvars Neuigkeiten hatten sie ebenso überrascht wie den Prinzen. Harihn warf den Kopf in den Nacken und brüllte vor Lachen. »Bei den Eiern des Schnitters!« rief er mit bösartiger Freude. »Was für ein Witz! Ich wünschte, ich könnte dabeisein, wenn mein Vater das herausfindet.«
Anvars Gedanken hatten sich offensichtlich in dieselbe Richtung bewegt. Er sah krank aus, und Aurian verstand endlich, welche Bedeutung seine Zurückweisung Saras hatte. Wenn Xiang herausfand, daß sie unfruchtbar war, war sie wertlos für ihn, und ihr Leben mochte dann in ernster Gefahr sein. Anvar fühlte sich, obwohl er sie endlich durchschaut hatte, trotzdem schuldig, daß er sie ihrem Schicksal überlassen hatte. Aber liebt er sie noch? fragte Aurian sich. Dann fragte sie sich, warum ihr diese Vorstellung so zu schaffen machte.
Die prinzliche Karawane sammelte sich für den langen, bevorstehenden Marsch, und schließlich brachen sie wieder auf. Der Pfad wandte und schlängelte sich zwischen den hohen Felsformationen hindurch, die sich zu unheimlichen, verzerrten Skulpturen erhoben wie ein zu Stein erstarrter Wald. Durch Erosion hatten sich verschieden große Löcher in den Felsen gebildet, durch die der leise Wind unheimlich heulte und pfiff, so daß es klang wie das Wimmern gequälter Seelen und die Pferde ängstlich ihre Köpfe zurückwarfen.
Nach ungefähr einer Stunde schien der Pfad abrupt zu enden und einfach zwischen zwei hohen Steinen im Nichts zu versinken. Hinter diesen Steinen lag ein steiler, mit Steinbrocken gesäumter Abhang, der im Licht des langsam aufgehenden Mondes seltsam zu glitzern schien. Unter ihnen breitete sich die Wüste aus. Aurian, die mit Harihn, Yazour und Anvar an der Spitze der Kolonne geritten war, hielt ungläubig den Atem an. »Großer Chathak!« rief sie mit erstickter Stimme. »Ist das das, wofür ich es halte?«
Die Wüste schien in dem wechselnden Mondlicht zu glühen. Der Wind trieb Schwärme glitzernden Sandes in leuchtenden Strömen verschiedener Farben zu ihnen herüber – rot, blau, weiß und grün. Die Gipfel der Dünen fingen das Licht auf und funkelten grell wie der Frost an einem Winterabend. Selbst jetzt, da der Mond gerade aufgegangen war, mußte die Magusch sich eine Hand über die Augen legen.
»Genau das ist es«, beantwortete Yazour die Frage, die sie bereits wieder vergessen hatte. »Die ganze Wüste besteht aus Juwelen und Juwelenstaub. Siehst du, wie hell sie sind? Das ist der Grund, weshalb wir des Nachts reisen müssen. Im Sonnenlicht würde uns das Funkeln die Augen ausbrennen. Wir müssen ein gutes Stück vor Tagesanbruch unser Lager aufschlagen, denn wenn die Sonne am Himmel erscheint, muß jeder sicher unter schützenden Decken liegen.«
Er zeigte Aurian und Anvar, wie sie ihre Augen für die Nacht mit den langen, herabhängenden Enden des Wüstenkopfschmuckes, den sie alle trugen, verdecken konnten, nämlich indem sie die hauchzarten Schleier über ihre Gesichter zogen und sie mit dem Stirnband auf der anderen Seite verbanden. Aurian fand heraus, daß sie ziemlich problemlos durch den dünnen Stoff hindurchsehen konnte, aber er verhinderte gleichzeitig, daß das bereits zunehmende Funkeln in ihren Augen brannte. Die Augen der Pferde und Lasttiere wurden ebenfalls mit Schals aus demselben Stoff verbunden, nur Shia weigerte sich, irgend etwas mit diesem Unsinn zu tun zu haben. Sie schmollte immer noch, weil sie gezwungen gewesen war, vor ihrem Marsch über die Klippen das Schlußlicht zu bilden, damit sie die Pferde nicht erschreckte. »Ich brauche dieses Menschenzeug nicht«, sagte sie voller Verachtung zu Aurian. »Ich bin eine Katze. Meine Augen passen sich an.«
Sie ritten hinaus in das funkelnde Meer aus Juwelen, und mit ihrem bleichen, verschleierten Kopfputz und den fließenden Wüstengewändern sahen sie aus wie umherstreifende Geister. Die Pferde warfen mit ihren Hufen Wolken feinen Juwelenstaubs in die
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