Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
Höhe und ließen hinter sich eine Spur zurück, die wie kaltes Feuer glitzerte. Schon bald waren Pferde wie Reiter in einen Umhang aus funkelndem Licht gehüllt. Was waren das für Juwelen, die eine so schwindelerregende Leuchtkraft besaßen? Aurian spürte einen Klumpen in ihrer Kehle. Wie die fröhliche Schönheit der Wale, war auch die unheimliche Lieblichkeit dieses Ortes in ihrer Intensität beinahe herzzerreißend. Aber sie war ebenso tödlich wie schön, das hatte sie von Yazour erfahren. In der richtigen Jahreszeit konnten binnen wenigen Minuten große Sandstürme aufkommen, und die scharfen Kanten der vom Wind umhergeschleuderten Edelsteine konnten einem Mann genausoschnell das Fleisch von den Knochen reißen. Außerdem zog dieses Meer von Juwelen angeblich auch Drachen an.
»Drachen!« keuchte Aurian. »Hier gibt es Drachen?«
»Nur eine Legende«, erwiderte Yazour. »Es heißt, sie lebten in der Wüste, wo sie sich mühelos ernähren konnten. Du weißt doch, daß sie sich mit Sonnenlicht ernähren?«
»Was für eine Geschichte!« schnaubte Anvar. »Das glaube ich erst, wenn ich es sehe, Yazour.«
»Bete darum, daß du niemals die Gelegenheit dazu bekommst«, erwiderte der junge Mann ernst. »Drachen sind angeblich sehr ungesellige und unberechenbare Geschöpfe. Sie geraten leicht in Zorn, und man läßt sie am besten in Ruhe.«
Sie ritten weiter durch die Nacht, zu müde, um zu sprechen. Aurian war erleichtert, als Yazour, nachdem er einen Blick auf den scheinbar unveränderten Horizont geworfen hatte, endlich den Vorschlag machte, daß sie anhalten und ihr Lager aufschlagen sollten. Sie war schwächer, als sie es je für möglich gehalten hätte. War es erst gestern früh gewesen, daß sie Anvar gefunden und ihn den Klauen des Todes entrissen hatte? Seither war soviel geschehen, und sie hatte anscheinend keinen Augenblick Ruhe gefunden. Als sie von ihrem Pferd stieg, spürte sie, wie ihre Knie unter ihr nachgeben, und war zutiefst dankbar, daß sie nichts zu tun hatte. Bohan war augenblicklich an ihrer Seite, um ihr ihr Pferd abzunehmen, und Harihns Soldaten stellten mit großer Geschwindigkeit und echtem Können die leichten Seidenzelte auf. Selbst die Pferde und die Maulesel wurden in ihre eigenen Schutzzelte gebracht, denn kein Lebewesen konnte während der Stunden des Tageslichtes draußen überleben.
In dem allgemeinen Tumult, den der Aufbau des Lagers mit sich brachte, verlor Aurian ihre Freunde aus den Augen – bis auf Shia, die ihr wie ein Schatten folgte. Nachdem sie ihre magere Ration an Essen und Wasser abgeholt hatte, machte sie sich auf die Suche nach Anvar. Sie fand ihn schließlich allein im Eingang eines kleinen Zeltes sitzend. Neben ihm lag ein Wasserschlauch, und er hatte sein Essen nicht angerührt, sondern starrte blind hinaus auf das von Fackeln erleuchtete Lager. Seine Mundwinkel waren heruntergezogen, und auf seinem düsteren Gesicht spiegelte sich Kummer. Aurian wollte sich gerade wegschleichen, weil sie Angst hatte, ihn zu stören, aber er wandte sich zu ihr um, denn er schien wieder einmal ihre Nähe gespürt zu haben.
»Weißt du«, sagte er, ohne sie anzusehen, »du hast kein einziges Mal gesagt: ›Ich hab’s dir ja gesagt.‹«
»Ich würde mir eher die Zunge abbeißen!« protestierte Aurian. »Warum sollte ich deinen Schmerz noch vergrößern wollen?«
Anvar seufzte. »Nein, das würdest du natürlich niemals tun. Dafür bist du zu fair. Du hast mich, was Sara betrifft, gewarnt. Aber statt auf dich zu hören, habe ich dich weggeschickt. Und jetzt sieh, was passiert ist.«
»Anvar, ich hätte dich niemals im Stich lassen dürfen. Mein verwünschtes Temperament! Ich werde mir das nie verzeihen.«
»Nun, dann wären wir ja schon zu zweit«, sagte Anvar grimmig. »Warum habe ich nicht begriffen, wem von euch beiden ich trauen konnte? Ich habe während unseres Ritts durch die Wüste viel nachgedacht. Darüber, wie du Miathan meinetwegen in der Akademie getrotzt hast und wie freundlich du zu mir warst, als ich dein Diener war. Wie du am Sonnenwendmorgen hinaus in den Schnee gegangen bist, um mir eine Gitarre zu kaufen – und was habe ich getan?« Selbstverachtung lag in seiner lauter werdenden Stimme. »Ich habe gemeine Dinge zu dir gesagt – ich habe dich vertrieben –, weil ich Sara verteidigt habe. Und was hast du getan? Du hast mich im Sklavenlager vor dem Tod gerettet; du hast mich als deinen Ehemann ausgegeben, während sie mich nur tot wissen wollte, damit
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