Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
Anvar von seinem Besuch zu erzählen.
29
Kanalratten
Die alte Bäckerei hatte sich so verändert, daß Anvar, wäre er dort gewesen, das Heim seiner Kindheit kaum wiedererkannt hätte. Nach Rias Tod hatte Torl den Mut verloren. Sein blühendes Geschäft in der Arkade war dem gleichen Feuer zum Opfer gefallen, das auch seine Frau getötet hatte, so daß ihm nur sein altes, kleineres Haus geblieben war. Aber auch dort hatten sich – ohne Ria, die immer alles saubergehalten hatte, und ohne Anvars Arbeit – die Dinge stetig weiter verschlechtert. Trotz Berns Bemühungen, das Geschäft, das er einmal erben würde, zu retten, war die Bäckerei in einem schäbigen Zustand. Der Putz bröckelte ab, und das Dach bedurfte dringend einer Reparatur. Das Innere des Hauses war von Spinnweben überzogen und schmutzig, und es hätte einen neuen Anstrich gebraucht.
Kein Wunder, daß wir unsere Kundschaft verloren haben, dachte Bern angewidert, als er die Brotlaibe für den nächsten Tag aus dem Ofen zog. Torl, der zu einem mürrischen, verbitterten Mann geworden war, machte sich schon längst nicht mehr die Mühe, früh am Morgen aufzustehen, um jeden Tag einen frischen Schub Brot zu backen. Um die Wahrheit zu sagen, wäre das auch kaum der Mühe wert gewesen. Stirnrunzelnd betrachtete Bern den Stapel altbackener Brotlaibe, der auf dem Tisch unterhalb des Fensters lag. Alle hier in der Gegend kannten die Bedingungen, unter denen Torls einstmals berühmtes Brot jetzt gemacht wurde, und niemand wollte es mehr haben.
Gerade in diesem Augenblick kam der Gegenstand von Berns düsteren Gedanken in die Bäckerei marschiert. Die Flammen im Ofen flackerten bei dem starken Zug der geöffneten Tür, und eine wirbelnde Schneewolke folgte Torl in die Stube; die Flocken leuchteten wie kleine Funken im Licht seiner Laterne. Der neue Rat, der im Sold der Magusch stand, hatte befohlen, daß kein Geld mehr für Lampenentzünder verschwendet werden sollte. In den dunklen Straßen gedieh nun das Verbrechen, und die Leute waren gezwungen, ihre eigene Beleuchtung mit hinaus zu nehmen.
»Schreckliche Nacht«, knurrte Torl. »Verdammter Winter!«
»Putz dir die Füße ab, Vater.« Bern wußte schon, bevor er die Worte ausgesprochen hatte, daß es sinnlos war. Torl zuckte mit den Schultern, wie er es immer tat, und begann den Schub altbackener Brotlaibe in einen Sack zu laden, den er aus dem leeren Stall geholt hatte.
»Ich geh’ in die Taverne«, murmelte er. »Harkas will das Brot für seine Schweine.«
»Vater, nicht schon wieder!« protestierte Bern. »Wir können so nicht weitermachen. Wenn du das Geld, das du von Harkas bekommst, nach Hause brächtest, statt es zu vertrinken, könnten wir es uns vielleicht leisten, hier wieder alles soweit in Ordnung zu bringen, daß das Brot auch für Menschen taugt. Außerdem kann er dir auch nicht besonders viel bezahlen. Es ist schon lange her, daß du beschwipst nach Hause gekommen bist, geschweige denn betrunken.«
»Kümmere dich um deinen eigenen Dreck, Bern.«
»Um meinen eigenen Dreck soll ich mich kümmern? Dieser Dreck – dieses Geschäft hier – ist alles, was ich … was wir haben, und du treibst es unaufhaltsam dem Ruin entgegen!«
Torl machte ein finsteres Gesicht. »Und wenn ich das tue? Welchen Sinn hätte es denn, zu arbeiten, wenn diese verdammten Magusch die Stadt ausbluten! Der Zehnte hier, Steuern da … Ich würde lieber das Haus hier abbrennen, als den Magusch auch nur noch ein einziges Kupferstück nachzuwerfen!«
Bern, zutiefst erschrocken, versuchte versöhnlich zu sein. »Sieh mal, Vater, warum nimmst du mich heute abend nicht einfach mit? Ich könnte selbst auch ein Bier vertragen, und vielleicht könnten wir zusammen Harkas etwas mehr Geld für unser Brot abschwatzen. Was hältst du davon?«
»Nein!« Die heftige Antwort seines Vaters überraschte Bern. Torl wandte verschlagen den Blick von seinem Sohn ab. »Nicht heute abend, Bern, hm? Es ist absolut scheußlich da draußen, und du hast heute hart gearbeitet. Du solltest dich nicht durch den Dreck und den Schnee hindurchschleppen, nur um mir Gesellschaft zu leisten. Ruh dich schön aus. Komm lieber ein andermal mit.« Mit diesen Worten war er aus der Tür und verschwunden, bevor sein Sohn auch nur hätte blinzeln können. »Was, zum Kuckuck, hat er vor?« murmelte Bern. Er bedeckte nur noch das Feuer im Ofen mit Asche, dann warf er sich seinen schäbigen Umhang um die Schultern, entzündete eine Laterne und
Weitere Kostenlose Bücher