Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
schon seit Jahren nirgendwo mehr zu Fuß hingegangen.« Sie umarmte Zanna und schulterte ihre Last. Dann hob sie seufzend ihre Augen gen Himmel. »Was ich nicht alles für Vannor tue.«
»Was du nicht alles für die Liebe tust, meinst du«, murmelte Zanna leise, während Dulsina bereits in der Abenddämmerung verschwunden war. Lächelnd begann sie ihren Weg nach unten zum Kliff, um Yanis zu suchen.
Wo, beim Schlund der Hölle, sind wir? fragte Vannor sich. Der Abschied von seiner Familie und seinen Freunden erschien ihm jetzt wie ein lange vergangener Traum. Die Rebellen wanderten nun schon seit Tagen auf diesen kahlen, ekelhaften Mooren herum, die sich vom Meer aus bis zu Eilins Tal hinzogen. Weil sie gezwungen waren, ihren Weg durch die sich windenden Täler zu nehmen, um sich vor den suchenden Söldnertrupps zu verstecken – die weit zahlreicher waren, als Vannor erwartet hatte –, hatten sie sich schon bald verirrt. Und nun hatten sie sich in dieser pechschwarzen Nacht doppelt verirrt, denn Wolken waren auf die Hügel herabgesunken und hüllten sie ein wie ein dicker, klebriger Nebel, der dem Händler kalte Spinnweben übers Gesicht wischte.
Vannor fluchte, wie er schon seit Tagen fluchte. Was hatten die Magusch nur mit dem Wetter angestellt? Dem Kalender nach sollte es Zeit sein, das Heu einzuholen, kurz vor dem Herbst, und diese Hügel sollten in Sonnenschein schwelgen, eingehüllt in das lebhafte Grün junger Farne und das frische Purpur früher Heide unter einem Himmel, der eine dunkelblaue Schale war, erfüllt von der wilden, zirpenden Freude des Gesangs der Feldlerchen. Aber in diesem Jahr hatte es keinen Frühling gegeben, geschweige denn einen Sommer, und das Land war ausgetrocknet und verdorrt. Die Menschen hungerten jetzt sicher, dachte Vannor. Diejenigen, die in der Nacht der Todesgeister gestorben waren, konnten sich vielleicht noch glücklich schätzen.
Das grimmige Winterwetter nagte an dem Gemüt des Kaufmanns und beraubte ihn seiner Hoffnung und seines Muts. Wenn doch nur Parric da wäre, mit seinen militärischen Fähigkeiten und seinem unbeugsamen Geist! Er hätte sich nicht im Nebel verirrt. Wenn sie doch nur Pferde hätten, statt diesen langsamen, qualvollen Weg zu Fuß unternehmen zu müssen. Dann hätten sie schon vor Tagen die Zuflucht des Tals erreicht. Aber es waren keine Pferde zu haben gewesen. Die Schmuggler hatten nicht genug, um ihnen welche zu überlassen, und die meisten anderen waren mittlerweile wohl aufgegessen worden, vermutete Vannor. Parric hatte ihm seine Rebellen anvertraut, und er hatte alles verpfuscht. »Ich tauge nicht zu dieser Sache«, murmelte er hilflos. »O Parric, warum mußtest du nur weggehen?«
Voller Verzweiflung hatte Vannor seine kleine Schar verlassen und war auf diesen Hügel gekrochen in der Hoffnung, von dort aus den Nebel durchdringen zu können, der wie ein dunkelgrauer Fluß über dem Tal lag. Aber es hatte keinen Sinn. Selbst von hier oben aus konnte er nichts sehen. »Fional? Hargorn?« flüsterte er den Spähern zu, die ihn begleitet hatten. Er bekam keine Antwort. Zur Hölle mit ihnen! Hatte er ihnen nicht eingeschärft, ganz in der Nähe zu bleiben? Die Geräusche drangen weit im Nebel, und er wagte nicht, laut nach ihnen zu rufen. In den Hügeln wimmelte es von Angos Söldnern. Wenn sie sich verlaufen hatten, hatten sie keine Chance, in dieser Dunkelheit und diesem Nebel wieder zurückzufinden. Wütend über ihre Dummheit und voller Sorge um ihre Sicherheit machte er sich auf den Weg den Hügel hinab, um sich wieder zu seinen Leuten zu gesellen. Vannor war einige Zeit gegangen, bevor ihm die schreckliche Wahrheit dämmerte. Nicht seine Späher hatten sich verirrt – er war es! Er hatte schon vor langer Zeit wieder flachen Boden erreicht und ging doch gewiß in die richtige Richtung – aber von den Rebellen war nichts zu sehen und nichts zu hören. Vannors Herz begann zu hämmern, und klebriger Schweiß sickerte zwischen seinen Schulterblättern herab. Als er so sicher gewesen war, in die richtige Richtung zu gehen, hatte er sich noch ganz wohl gefühlt, aber jetzt … Der undurchdringliche Nebel umwaberte ihn und verwirrte ihn so sehr, daß er keine Orientierung mehr hatte. Vannor kämpfte seine Panik nieder. War der Boden unter seinen Füßen wirklich eben? Ging er in die falsche Richtung und lief dem Feind direkt in die Arme? Er kämpfte einen verzweifelten Kampf mit sich selbst, um sich davon abzuhalten, blind in die Dunkelheit
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