Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
Winterabend wie ein Traum von Behaglichkeit zu sein. Seit der Erzmagusch die Kontrolle über die Stadt an sich gerissen hatte, gingen die Geschäfte immer schlechter, und heute abend war es besonders schlecht gewesen, denn wegen des abscheulichen Wetters trieben sich nur wenige Leute draußen herum. Die gewundenen, schmalen Straßen von Nexis lagen unter einem dichten, eiskalten Nebel, der sich in ihrer Kehle festsetzte und den trockenen Husten auslöste, der sie nun schon den ganzen Winter quälte. Genug war genug, beschloß Tilda. Warum sollte sie sich für nichts und wieder nichts hier draußen an einer zugigen Ecke den Hintern abfrieren?
Als sie den Betrunkenen Hund erreichte, blieb die Hure kurz in der Tür stehen, um die tropfenden Säume ihrer Unterröcke zurechtzuzupfen und ihre feuchten, rotgefärbten Locken auszuschütteln. Sie müßte verrückt sein, wenn sie hier im ›Hund‹ Geschäfte machen wollte. Er gehörte zu Dellies Revier, und Dellie war eine Kollegin – und zwar eine, die ziemlich unangenehm werden konnte, wenn es ums Geschäft ging. Trotzdem in diesem Gewerbe zahlte es sich immer aus, vorbereitet zu sein. Manchmal hatte man eben doch Glück … Sie als alternde Straßendirne, die obendrein noch einen zehnjährigen Sohn zu versorgen hatte, brauchte alles Glück, das sie bekommen konnte.
Sobald sie eintrat, wußte Tilda allerdings, daß dies doch nicht ihr Glücksabend werden würde. Offensichtlich war sie nicht die einzige Straßendirne in Nexis, die des miserablen Wetters müde war. Es sah aus, als beherbergte der ›Hund‹ im Augenblick jede Hure und jeden Lustknaben in der Stadt. Für einen einzigen Abend hatte man einen Waffenstillstand ausgerufen, und viele der Prostituierten saßen, in freundlichem Geplauder vereint, an den Tischen, um eine der seltenen Stunden der Entspannung auszukosten. Wenn es nur immer so sein könnte, dachte Tilda. Wir sitzen doch alle im selben Boot, wir sollten Freundinnen sein. Aber sie war nicht dumm genug, Zeit mit solchen törichten Ideen zu verschwenden. Sie mußten schließlich alle leben, und der Wettbewerb um Kunden war selbst in einer Stadt wie Nexis ungeheuer groß.
Tilda mußte sich durch eine dichtgedrängte Menschenmenge ihren Weg zu den Tischen hinüber bahnen. Zusätzlich zu den Huren und Stammkunden saß heute abend eine Gruppe Kahnführer in der Nähe des Feuers und spielte Würfel. Tilda erhaschte eine schattenhafte Bewegung in der dunkelsten Ecke und hörte das leise Summen gemurmelter Gespräche. Schnell sah sie weg. Nach so vielen Jahren auf der Straße konnte sie immer genau spüren, wann etwas Fragwürdiges im Gange war. Wenn man überleben wollte, mußte man wissen, wann man seine Augen abzuwenden hatte.
Der interessanteste Kunde war, soweit Tilda sehen konnte, ein wettergegerbter, grauhaariger Mann, der einen schweren Soldatenumhang trug. Er saß ganz allein da und war blind für alles bis auf seinen Bierhumpen. Einen Augenblick lang machte Tilda sich Hoffnungen – aber als sie näher kam, sah sie, daß sein Mantel geflickt und fadenscheinig war, und er blickte mit so finsterer Leidenschaft in sein Bier, daß sie ein kalter Schauer überlief. Vergiß es, sagte sie zu sich. Auf diese Art von Schwierigkeiten kannst du gut verzichten. Manchmal wurden die Soldaten so, das wußte sie. Verdreht und verwirrt, die armen Kerle; aber nach ein paar Drinks ließen sie dann alles, was sie bedrückte, an dem aus, der ihnen am nächsten saß, und wenn sie erst einmal angefangen hatten, konnte niemand sie mehr aufhalten. Oh, ihr Götter, eine Freundin von ihr war von einem betrunkenen Soldaten für ihr ganzes Leben verkrüppelt worden. Nein danke, Kamerad, dachte sie und wollte gerade mit ihrem Grog an einen Tisch in der Nähe der Würfelspieler gehen – so weit weg wie möglich von dem finster dreinblickenden Krieger –, als sie plötzlich sah, wie sich sein Gesicht zu dem schelmischsten Lächeln aufhellte, das man sich nur denken konnte.
Was für eine Veränderung! Tilda, bezaubert von diesem schnellen, ansteckenden Grinsen, ging auf den Fremden zu, der ihre Neugier geweckt hatte. Nun, es konnte schließlich nicht schaden, mit ihm zu sprechen, oder? »Herr?« Sie legte ihm zögernd eine Hand auf den Arm.
Er fuhr herum, einen Fluch auf den Lippen, und wandte sich dann ab, als hätte sie aufgehört zu existieren. Wieder starrte er finster in sein Bier. Dann rieb er sich mit der Hand über die Augen, mit einer Geste, die so furchtbar müde
Weitere Kostenlose Bücher