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Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe

Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe

Titel: Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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Dann öffnete er wieder den Mund, um zu sprechen, wurde jedoch unterbrochen.
    »Pst! Schone deine Kraft. Du hattest hohes Fieber von deiner Reise hierher und von den Entbehrungen, die du vorher erlitten hast.« Der geflügelte Mann runzelte die Stirn und wirkte plötzlich deutlich älter. »Das Gift hat sich in deinen Lungen niedergelassen«, fuhr er fort. »Du warst nur einen Federhauch davon entfernt, die Pfade des Himmels zu beschreiten …«
    Anvar schauderte. Gleichgültig, wie man es ausdrückt, dachte er, tot ist immer noch tot. Irgend etwas nagte in den Tiefen seines Bewußtseins an ihm, aber der Himmelsmann hatte wieder zu sprechen begonnen und vertrieb damit alle anderen Gedanken. »Ich muß jetzt gehen«, sagte er, »aber ich habe ein Feuer entzündet, und daneben findest du ein wenig Suppe und zusätzliches Brennholz. Du mußt dich um jeden Preis warmhalten. In dieser Flasche hier ist Medizin gegen deinen Husten. Ich komme zurück, sobald ich kann«, fügte er hinzu und war auch schon verschwunden. Anvar konnte ihm nur sprachlos hinterhersehen.
     
    Da war Schmerz und nur Schmerz. Er umschlang ihre ganze Welt. Rabe lag niedergedrückt unter der furchtbaren Last der Qual, die in pulsierenden Wogen über sie hinwegrollte. Sie öffnete die Augen, um das Bein ihres Nachttischchens zu betrachten, einen Teil des Bodens – und Blut – soviel Blut, überall, auf jedem Fleck, den sie mit ihrem kleinen Gesichtskreis erfassen konnte. Klumpen verklebter, schwarzer Federn lagen in einer klebrigen Masse, vermischt mit winzigen Knochensplittern. Rabe erbrach sich und zuckte bei dem Anblick zusammen; die Bewegung schnitt wie ein Messer aus Feuer durch ihre Nerven, und sie versuchte, sich wieder in die Bewußtlosigkeit fallenzulassen, versuchte, der Erinnerung an die Schläge, die auf sie niedergehagelt waren, zu entfliehen, dem Schmerz zerrissenen Fleisches und zersplitterter Knochen. Ihre Ohnmacht war ihr zu diesem Zeitpunkt höchst willkommen gewesen. Mit dem Wunsch zu sterben hatte sie die Dunkelheit umarmt, wie sie einst Harihn umarmt hatte. Ein Lachen voller Selbstverhöhnung, so bitter wie Galle, stieg in Rabes Kehle hoch, und sie zuckte wieder zusammen, so weh tat es. Schwarzkralle hatte einen Narren aus ihr gemacht. Er hatte sie wieder einmal übertölpelt. Angesichts der raffinierten Grausamkeit seiner Natur hätte sie wissen müssen, daß der Tod das letzte war, was er für sie bereithielt, das letzte Glied in einer lange Kette von Qualen.
    Aber keine Qual konnte schlimmer sein als dieses Schicksal, das Incondor zur bitteren Niederlage geführt hatte. Sie würde nie wieder fliegen können. Die belebende Freiheit des Himmels war ihr für immer verwehrt. Oh, aber dieser Schuft von einem Priester war schlau! Wenn er sie heiratete, konnte er als ihr Gemahl die Macht ergreifen, aber sie würde immer noch Königin und damit für alle Zeit eine Bedrohung für ihn sein. Er konnte sie kaum weiter gefangenhalten – sie und ihre Mutter mußten in der Zitadelle immer noch Anhänger haben. Auf diese Weise würde er jedoch alles bekommen. Sie war die letzte von Flammenschwinges Geschlecht, aber verkrüppelt wie sie war, würde man ihr nie gestatten zu herrschen. Es verstieß gegen das Gesetz ihres Volkes. Wenn Schwarzkralle es fertigbrachte, daß sie ein Kind von ihm bekam, konnte er ein ganzes Leben lang als Regent für einen Marionettenerben herrschen. Um die königliche Linie am Leben zu erhalten, würde ihr Volk es zulassen. In diesem Falle würde sie selbst natürlich verzichtbar sein, es sei denn, er beschloß, sie zu seiner eigenen Belustigung weiterleben zu lassen.
    Rabe schauderte. Leben? Als Krüppel, als ein Gegenstand des Spotts oder, was vielleicht noch schlimmer war, des Mitleids? Da kam ihr der rettende Gedanke, und ihr Lachen – ein echtes Lachen des Triumphes diesmal – schrillte durch den verlassenen Raum. Oh, sie konnte ihn immer noch schlagen, und wie süß würde es sein, sich ihren letzten, noch verbliebenen Wunsch zu erfüllen, mit dem sie gleichzeitig ihrem Feind einen Strich durch all seine Rechnungen machen würde.
    Selbst die kleinste Bewegung schien eine Ewigkeit zu dauern. O Mutter, es tut so weh ! Mach, daß es aufhört ! Der Raum um sie herum begann zu verblassen, und Rabe biß sich auf die Lippe, blinzelte heftig und atmete so tief durch wie möglich, bis sie endlich wieder klar sehen konnte. Im Hintergrund hörte sie das Heulen des Windes in den Turmspitzen des Tempels. Incondors

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