Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
du sie auch wahrmachen?« Ihre Augen glitzerten. »Ich möchte, daß du dich um Königin Rabe kümmerst. Sei ihr steter Begleiter, ihr Trost, ihre Stütze. Sie wird nicht leben wollen, Cygnus – und so wird es an dir sein, ihr neuen Lebensmut zu schenken.«
Cygnus keuchte. »Das kann ich nicht! Elster, bitte, verlang etwas anderes von mir. Was könnte ich denn zu ihr sagen? Ich kann ihr nicht ins Gesicht sehen, nicht mit dem Blut ihrer Mutter an meinen Händen.«
»Das ist dein Problem.« Elster war unerbittlich. »Je schwieriger du es findest, um so größer ist deine Chance, dein Vergehen wirklich zu sühnen. Und Cygnus, falls dir dein Leben jemals zu groß erscheinen sollte, versuch dich an ihre Stelle zu versetzen.«
Ihre brutalen Worte raubten Cygnus den Atem. Der niedergeschlagene junge Arzt senkte den Kopf. »Ich werde es versuchen, Elster«, flüsterte er.
»Du solltest es nicht versuchen; du sollst es tun!« sagte Elster brutal. »Das Leben dieses Mädchens liegt in deinen Händen, Cygnus, verpfusch mir die Sache nicht! Du hast schon genug Schaden angerichtet.« Sie schwächte ihre Worte mit einem Anflug von einem Lächeln ab. »Falls es dir ein Trost ist, mein Junge, ich vertraue dir.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, womit ich das verdient habe.« Cygnus blickte noch einmal zu Rabe hinüber. Dann holte er tief Luft und straffte die Schultern. »Aber ich verspreche, Meisterin, daß ich mich deines Vertrauens würdig erweisen werde.«
»Dank sei Yinze, ich habe meinen Schüler wieder.« Elster umarmte den jungen Arzt. Obwohl sein Unglück sie zutiefst betroffen hatte, war seine Gewissenskrise für sie doch eine große Beruhigung. Seine Hinwendung zu Schwarzkralles bizarren Plänen hatte sie schon lange entsetzt, und sie war angeekelt gewesen, als ihr klar wurde, welche Rolle er bei dem Mord an der Königin gespielt hatte. Ich sollte ihn eigentlich hassen, dachte die Meisterin, aber sie kannte die Natur der Himmelsleute und die Schwäche ihres Charakters und wußte daher, daß die Dinge nicht so einfach waren, wie sie aussahen. Sie war davon überzeugt, daß Cygnus dem Bösen noch nicht unwiderruflich verfallen war, und daher war es ihre Pflicht, ihn zu retten, wenn das in ihren Kräften stand, und ihn wieder auf den Weg von Moral und Menschlichkeit zu leiten. Der Gedanke an all das Gute, das er mit seinen Fähigkeiten in Zukunft würde tun können, war genug, um den Versuch zu rechtfertigen; und außerdem hatte sie ihn sehr gern, obwohl sie eher gestorben wäre, als es zuzugeben.
Elster löste die Umarmung und hielt ihren Schüler um Armeslänge von sich weg. »Und jetzt geh und iß etwas«, sagte sie zu ihm. »Laß auch etwas für mich heraufbringen. Und halte dich um jeden Preis von Schwarzkralle fern, bis du wieder soweit bist, daß sich deine Gefühle nicht auf deinem Gesicht widerspiegeln. Du hast heute abend gute Arbeit geleistet, aber leider gibt es für einen Arzt keine Ruhepause. Dein anderer Patient wartet immer noch auf dich, unten in der Höhle.«
Cygnus stöhnte. »Den Zauberer habe ich ganz vergessen!«
»Pst, Junge«, brachte Elster ihn hastig zum Schweigen. »Nicht so laut.«
»Aber Meisterin, ich habe ganz vergessen, dir davon zu erzählen.« Vorsichtig senkte er die Stimme. »Ich habe Schwarzkralle gesagt, seine Krankheit übersteige meine Fähigkeiten, damit der Hohepriester nicht auf die Idee kommen könnte, dich zu töten, nachdem du doch gesehen hattest, was Königin Flammenschwinge zugestoßen war.«
Elster holte tief Luft. »Du hast an mich gedacht?« Sie war erstaunt darüber, daß ihr diese Tatsache so viel bedeutete.
Sentimentale, alte Närrin, schalt sie sich. Dann riß sie sich zusammen und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Schüler zu. »Und stimmt das?«
»Ob was stimmt?« Cygnus macht ein verwirrtes Gesicht.
»Daß seine Erkrankung deine nicht unbeträchtlichen Fähigkeiten übersteigt, natürlich.«
»Nein, obwohl ich einen Augenblick lang tatsächlich dachte, es wäre so! Es war ein Fieber, zweifellos durch Kälte und Entbehrungen verursacht; außerdem haben ihn die Tempelwachen ziemlich mißhandelt. Eine Zeitlang wähnte ich sein Leben schon verloren, aber jetzt ist er außer Gefahr.« Zum ersten Mal in dieser langen, harten Nacht gestattete Cygnus sich ein Grinsen.
Elster erwiderte sein Lächeln. »Also, dann geh und kümmere dich um deinen Patienten. Anschließend ruhst du dich etwas aus, und dann kommst du wieder hierher, um bei der Königin zu
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