Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
nur noch ausgraben. Für kurze Zeit hat es genug für alle gegeben.«
Dann schwieg sie eine Weile und massierte Shia, während diese aß. Schließlich kehrte die Wärme in die Muskeln der großen Katze zurück. »Shia, wie kommt es, daß du zu uns zurückgekehrt bist?« fragte sie endlich. »Wie konntest du fliehen?« Sie zeigte mit dem Kopf auf den Stab der Erde, der pulsierend und wie eine grazile, grüne Schlange in der Ecke lag. »Und wie bist du in den Besitz dieses abscheulichen Dings gekommen?«
Shia, die jetzt gesättigt war, wurde langsam schläfrig. »Es ist eine lange und unglaubliche Geschichte«, begann sie verträumt, als plötzlich …
» Komm raus, Feigling, und kämpfe !« Der Ruf der Herausforderung – ein langes, schauerliches Heulen – erscholl vor der Höhle. Shia fauchte, und die Haare entlang ihres Rückgrats stellten sich plötzlich auf. »Ich wußte, daß sie nicht lange brauchen würde«, sagte sie gelassen. Dann erhob sie sich steif und lief zum Höhleneingang. »Thronräuberin, ich komme!« brüllte sie.
Bei dem gewaltsamen Angriff auf Stahlklaue hatte die Macht der Zerstörung das Zentrum des Gipfels ausgehöhlt, so daß jetzt nur noch klauenartige, dünne Felswände in den Himmel ragten, als versuchten sie vergeblich, nach den Wolken zu greifen. In ihrem Schatten lag, wie die Innenfläche einer riesigen, greifenden Hand, eine schalenförmige Vertiefung; ihr Boden war buckelig und an manchen Stellen von glatten Rinnsalen geschmolzener und wieder geronnener, schwarzer Lava durchzogen.
Unbemerkt auf seinem erhöhten Platz saß Khanu und leckte sich auf einem Felsvorsprung über der Schlucht, die seit zahllosen Generationen den Weibchen der Kolonie als Versammlungsort gedient hatte, seine Wunden. Er hätte eigentlich gar nicht hier sein dürfen; das war kein Ort für die Männchen und schon gar nicht für die jungen, unwichtigen unter ihnen, aber Khanu hatte in diesem kleinen Akt des Trotzes Linderung für seinen schrecklich verletzten Stolz gefunden. Heute hatte er den ehrgeizigen Versuch unternommen, sich mit Gristheena, der Ersten, zu paaren, deren bisheriger Gefährte bei dem letzten Angriff der Geflügelten getötet worden war. Zu seinem unaussprechlichen Entsetzen hatte er sich seinen Weg durch ein Gedränge älterer, erfahrenerer Bewerber gebahnt, nur um dann schmählich und schmerzhaft – Khanu zuckte zusammen, als er sich seine Pfote leckte, um die brennenden Klauenabdrücke auf seiner Nase zu säubern – von dem Weibchen zurückgewiesen zu werden.
Die Abenddämmerung füllte den verschneiten Kampfplatz in der Schlucht mit Schatten, aber Khanu unternahm keinen Versuch, sich zu entfernen, obwohl er schrecklich fror. Neben seiner Demütigung durch die Erste seines Volkes hatte er noch etwas anderes zu verdauen. Mit seiner Zurückweisung und Gristheenas offenem Hohn war die niederschmetternde Erkenntnis gekommen, daß er für seine Kolonie lange nicht so wichtig war, wie er früher gedacht hatte.
»Aber ich verstehe es einfach nicht«, murrte Khanu schmollend vor sich hin. »Männchen sind großer, Männchen sind stärker. Wir haben die Wahl bei den ersten Früchten der Jagd, und die Weibchen stehen daneben, bis wir gegessen haben.« Während die Junggesellen in einer lockeren Gemeinschaft lebten, bis es ihnen gelang, sich eine eigene Gefährtin zu erringen, wählte jedes der älteren und stärkeren Männchen sich seine eigene Schar von Weibchen – zumindest hatte Khanu das bis zum heutigen Tage angenommen. Jetzt, so schien es, stand seine Welt plötzlich auf dem Kopf.
Die Männchen jagten nicht und trugen nichts zum Unterhalt der Kolonie bei. Sie saßen nicht auf dem Versammlungsplatz und machten auch nicht die Gesetze zum Wohlergehen aller. Männchen spielten keine besonders nützliche Rolle bei der Aufzucht und Ernährung der jungen Katzen. Männchen, so hatte es sich herausgestellt – und Khanu zuckte bei der Erinnerung daran zusammen –, Männchen wählten nicht einmal selbst ihre Gefährtinnen. Oh, sie kämpften wild um das Privileg; aber die letzte Wahl traf, wie Gristheena ihm mit größtem Nachdruck klargemacht hatte, immer das Weibchen.
Nach seiner Zurückweisung war Khanu zu seinem Erzeuger Hzaral gegangen. Hzaral, mittlerweile ein von unzähligen Narben entstellter und beinahe zahnloser Alter, hatte viele Paarungskämpfe hinter sich gebracht und schon vor langer Zeit beschlossen, sich aus dem wilden Treiben zurückzuziehen, das mit dem Wettbewerb um die
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