Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
trotz ihres Zorns spürte sie einen beängstigenden Knoten der Furcht in sich. Sie betrachtete Davorshans willensschwachen Zwillingsbruder nicht als Bedrohung, aber die Lady vom See hatte einen Magusch besiegt, der viel jünger und körperlich stärker war als sie selbst, und sie hatte wohl auch ungefähr zwei Dutzend hartgesottener Söldner niedergemetzelt. Offensichtlich hatten sie Eilins Macht unterschätzt. Die Maguschfrau zitterte innerlich. Hat Miathan sich eine neue Möglichkeit ausgedacht, um mich loszuwerden? dachte sie. »Du willst, daß ich in das Tal gehe?« erkundigte sie sich mit leiser Stimme.
»Nein!« bellte der Erzmagusch. »Versuch es mit List, versuch es mit Spionen. Du verstehst dich doch auf diese Hinterhältigkeiten. Aber was auch immer du tust, finde heraus, was in diesem Tal vor sich geht.
Der einzige Grund, warum ich dir nicht befehle, selbst hinzugehen«, fuhr er fort, »ist der, daß ich deine Fähigkeiten brauche, um den Winter über Aerillia wiederherzustellen. Wäre es aber möglich, die schlimmsten Stürme vom südlichen Teil des Gebirges fernzuhalten?«
Eliseth sah ihn durch schmal gewordene Augen an. Was führt er im Schilde? dachte sie. Sie runzelte die Stirn und versuchte, das Gebiet in ihrer Erinnerung zu rekonstruieren, denn bei der Zerstörung ihres Wetterdoms waren auch ihre alten Karten verlorengegangen. »Ich denke schon«, sagte sie schließlich. »Die Bergkette wird südlich des Landes der Geflügelten breiter – wenn ich die Luftmassen sorgfältig überwache, bilden diese Berge eine natürliche Barriere …« Sie runzelte die Stirn. »Warum?«
»Eliseth, wenn du glaubst, daß ich dir so kurz nach deinem Verrat meine Pläne noch einmal anvertrauen werde …« begann der Erzmagusch hitzig, aber sie brachte ihn mit glatten Worten zum Schweigen.
»Miathan, bitte. Das alles war nur ein bedauernswerter Fehler. Ich möchte den Schaden, den ich angerichtet habe, wiedergutmachen, aber wie kann ich dir helfen, wenn ich nicht weiß, was vor sich geht?«
»Ich weihe dich in meine Pläne ein, wenn ich das Gefühl habe, daß die Zeit dafür reif ist«, fuhr Miathan sie an. »Im Augenblick ist das einzige, was du wissen mußt, folgendes: Damit die Falle, die ich für Aurian aufgebaut habe, Erfolg haben kann, muß es ihr möglich sein, in diese südlichen Berge zu gelangen. Du wirst ihr die Sache ein wenig erleichtern, nicht wahr?« Seine Stimme senkte sich zu einem finsteren Schnurren. »Denn vergiß nicht, Eliseth, die Zerstörung deiner Jugend, die mir einmal gelungen ist, kann ich leicht ein zweites Mal zuwege bringen.«
Die Wettermagusch begegnete seinem Blick mit ausdruckslosem Gesicht. »Ich verspreche dir, Miathan, daß das nie wieder nötig sein wird«, log sie. »Du kannst mir vertrauen, das schwöre ich – denn es ist genausosehr in meinem Sinne wie in deinem, daß Aurian gefangengenommen wird.« Eliseth wandte sich ab, um ein Lächeln zu verbergen. Und sobald du sie für mich gefangen hast, Miathan, dachte sie, müßt ihr beide, du und Aurian, wahrlich auf der Hut sein!
3
Rabes Sturz
In dem nach Pinien duftenden Schutzzelt aus umgestürzten Bäumen lag Aurian gegen ein Polster von Bündeln und gefalteten Decken gelehnt. Shia, deren aufgerissene Fußsohlen mit Salbe bestrichen und in Lumpen eingehüllt waren, döste neben ihr vor sich hin. Sie schnurrte im Schlaf und legte Aurian ihren Kopf auf den Schoß. Anvar hatte sich auf der anderen Seite der Magusch zusammengerollt und seine schwindelerregend blauen Augen zu einem tiefen Schlaf purer Erschöpfung geschlossen. Sein feines, dunkelblondes Haar, das während ihrer Reise durch die Wüste heller geworden und von sonnenlichtgleichen Strähnen durchzogen war, fiel ihm übers Gesicht und bewegte sich leicht im Rhythmus seines Atems. Er hatte sich ein wenig Ruhe wohl verdient, dachte Aurian. Als Eliseth sie angegriffen hatte, hatte er ihnen allen das Leben gerettet und sich für einen nur halb ausgebildeten Magusch bewundernswert geschlagen.
Aurian schreckte vor der Tatsache zurück, daß Anvars Ergebenheit auf Gefühlen beruhte, die viel tiefer gingen als gewöhnliche Freundschaft. Die Erinnerung an Forral war noch zu stark. Und doch hatte sie es vorgezogen, bei Anvar zu bleiben, statt dem Schatten ihres ermordeten Liebsten in den Tod zu folgen … Aurian schüttelte den Kopf, als wolle sie die heftigen Schuldgefühle, die mit diesen Gedanken einhergingen, von sich werfen, aber es lag große Zuneigung in
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