Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
auch mit ihren Gedanken zu erreichen, und fing an, die getragene, ergreifende, wirbelnde Melodie zu singen, die viele Meilen durch das Wasser dringen und das Walvolk von seinen fernen Wanderungen herbeirufen würde. Sie rief vor allem nach Ithalasa, dem alten Freund, der sie nach dem Schiffsunglück gerettet und ihr neben weisen Ratschlägen auch in jeder anderen erdenklichen Hinsicht geholfen hatte.
Sie sang eine lange Zeit, bevor sie schließlich lauschte und betete, aus der Ferne eine Antwort zu erhalten. Aber es kam nichts. Aurian unterdrückte einen Anflug von Ungeduld und ruhte sich eine Weile aus, denn das Singen des hohen, klagenden Walgesangs hatte sie erschöpft. Dann begann sie wieder zu singen, begann mit dem langen Gesangszyklus, der ganz am Anfang des Liedes stand – und diesmal erhielt sie eine Antwort.
Der ferne Ruf war so schwach, daß sie ihn zuerst nur in ihren Gedanken und nicht mit ihren Ohren hören konnte. Aurian wartete darauf, daß sich der Sänger näherte, und stimmte jetzt selbst einen Grußgesang an. Schon bald wurde die anfangs nur schwach hörbare Stimme deutlicher.
»Magusch? O Magusch?«
Es war Ithalasa. »Ithalasa! Wie schön, dich wiederzusehen!« rief Aurian freudig. »Was für ein unglaubliches Glück, daß du es bist, der mir entgegenschwimmt.«
»Kein Glück, Magusch, aber es erklärt, warum wir so lange mit der Antwort gezögert haben«, erwiderte der Leviathan. »Einige meiner Schwestern hörten weit draußen im Ozean deinen Gesang und beschlossen, daß wieder mal ich derjenige sein sollte, der unsere Rasse repräsentiert, denn ich habe ja schon einmal mit dir gesprochen. Sie haben mich gerufen – und ich bin gekommen.«
Binnen weniger Minuten war er bei Aurian und schwamm kurz an die Oberfläche, um zu blasen und einen neuerlichen, mächtigen Atemzug zu tun, bevor er wieder zu der Magusch zurücktauchte. Sein massiger, stromlinienförmiger Körper hing reglos in der Strömung; nur seine geschwungenen Schwanzflossen pendelten leicht hin und her. Sein riesiger Leib ließ Aurian wie eine Zwergin erscheinen.
»Nun«, sagte Ithalasa gutgelaunt, »wo liegt diesmal dein Problem, Kleine? Ich sehe hier kein Schiffswrack.«
»Das kannst du auch nicht – ich bin von der Küste der Xandim aus hierhergeschwommen, um dich zu suchen«, erklärte Aurian.
»Das hast du getan? Bei diesem Sturm?« Die Stimme des Leviathan klang überrascht und enthielt eine gute Portion Respekt. »Dann muß dein Problem tatsächlich groß sein.«
»Das ist es auch, aber noch dringender muß ich aus dem Wasser heraus, bevor ich vor Kälte erstarre«, sagte Aurian zu ihm. Sie konnte ihn jetzt nur noch mit ihrer Maguschsicht erkennen, denn das Wasser war mit dem Einbruch der Nacht tiefschwarz geworden. Ihre Arme und Beine waren taub und bleich, und sie konnte spüren, wie ihre Gedanken immer träger wurden. »Ich glaube nicht, daß ich noch viel länger hierbleiben kann, Ithalasa. Würde es dir etwas ausmachen, mich ans Ufer zu bringen, damit ich mich von dort aus mit dir unterhalten kann?«
»Es wird mir ein Vergnügen sein. Und es wird schön sein, wieder einmal mit dir zu schwimmen, Kleine.«
Hilfsbereit streckte der Leviathan ihr eine große, geschwungene Flosse entgegen. »Kannst du auf meinen Rücken klettern, wie du es schon einmal getan hast?«
Aurian stellte fest, daß sie das, was sie damals mit solcher Leichtigkeit geschafft hatte, heute, von der Kälte geschwächt, große Mühe kostete. Aber schließlich gelang es ihr, sich von der ausgestreckten Flosse hochzustemmen und das kleine Stück nach oben zu schwimmen, bis sie Ithalasas breiten, grauen Rücken unter sich sah. Der Leviathan schwamm nun langsam an die Oberfläche und schob sie mit sich hoch, wobei er sehr vorsichtig vorging, damit ihr Körper sich an die veränderten Druckverhältnisse gewöhnen konnte. Schließlich brach er durch die Oberfläche ins Freie, und die Magusch lag auf seinem Rücken, keuchte, würgte und hustete das Wasser aus ihren Lungen, während sie sich von neuem daran gewöhnen mußte, wieder Luft zu atmen.
Nun weiß ich auch, wie sich eine ertrunkene Ratte fühlt, dachte Aurian kläglich. Sie lag keuchend und zitternd auf Ithalasas Rücken und hatte nicht mal mehr die Energie, sich zu bewegen, denn in dem kalten Wind fror sie genauso, wie sie es vorher im Meer getan hatte. Die Wellen brachen sich über ihr, während sich Ithalasa durch das tobende Wasser kraftvoll seinen Weg zurück ans Land bahnte. Und
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