Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
hättest, aber ich weiß, was du für mich tun wirst«, erwiderte die Nachtfahrerfrau energisch. »Als allererstes wirst du jetzt etwas Kräftigeres als Suppe zu essen bekommen, dann wirst du ein Bad nehmen – und dann gehst du in mein Zimmer, wo du dich ins Bett legen und in aller Ruhe ausschlafen wirst. Ist das klar?«
Emmie nickte dankbar. »Ja – ich glaube, ich könnte jetzt schlafen«, sagte sie. Aber trotz ihrer Beteuerungen mußte sie, als sie erst einmal unter der dicken Decke in Remanas warmem Bett lag, die weiße Hündin an ihrer Seite zusammengerollt, feststellen, daß es mit dem Schlafen nicht so einfach werden würde. Jetzt, da ihre Gedanken nicht länger um die praktischen Probleme der Unterbringung ihrer Leute kreisten, konnte sie nicht umhin, an jene zu denken, die den Angriff nicht überlebt hatten. So viele waren gestorben – Menschen, die sie gekannt und gemocht hatte. Der arme Benziorn, ihr Mentor und Lehrer in den heilenden Künsten, war verschwunden und wahrscheinlich nicht mehr am Leben … Und die arme Tilda … Mit einem Schaudern erinnerte sich Emmie an das Schwert, das den Bauch der Straßendirne durchbohrt hatte, so daß sich ihre Gedärme über dem blutbefleckten Boden ergossen hatten. Und was war aus Tildas kleinem Sohn Grince geworden? Er war in das brennende Lagerhaus zurückgelaufen, um Sturms Welpen zu retten, ohne zu ahnen, daß die kleinen Hündchen bereits tot waren … Emmie unterdrückte ein Schluchzen. Sie hatte den Jungen binnen kurzer Zeit so lieb gewonnen, aber es schien kaum Hoffnung zu geben, daß er noch lebte. Und selbst wenn er das Inferno im Lagerhaus überlebt hatte, war es wohl unwahrscheinlich, daß ein zehnjähriges Kind dem Gemetzel auf dem Vorhof unversehrt entkommen sein konnte.
Emmie hatte schon so viele Menschen verloren, die sie geliebt hatte – ihr Mann und ihre beiden eigenen Kinder waren vor einigen Monaten während der Raubzüge des Erzmagusch ermordet worden, mittlerweile hätte sie eigentlich keine Tränen mehr übrig haben dürfen. Aber während sie nun allein in der Dunkelheit lag, klammerte sich Emmie zum Trost an die weiße Hündin und weinte um den zerlumpten kleinen Jungen, der nie im Leben eine Chance gehabt hatte. Keinen Augenblick glaubte sie daran, daß sie ihn jemals lebendig wiedersehen würde.
Nach Einbruch der Dunkelheit war die Große Arkade in Nexis ein unheimlicher Ort. Die riesigen Säulenhallen, einst das pulsierende Herz des nexianischen Handels, waren jetzt nur noch ein Schatten ihrer früheren Pracht. Viele der ungezählten Geschäfte und Läden waren in den schwarzen Tagen von Miathans Herrschaft verlassen worden, und die endlosen Reihen kristallener Globen, die einst ein goldenes Licht erfüllte, waren dem Erlöschen nahe oder hatten sich bereits vollends verdüstert. Die Gänge und Gäßchen, durch die in glücklicheren Tagen Heerscharen von Füßen getappt waren, lagen jetzt still und in tiefe Schatten getaucht. Spinnen woben ihre seidenen Fallen, ohne dabei gestört zu werden, und die Stille wurde nur von dem huschenden Schritten der Küchenschaben und Ratten durchbrochen, die ihre nächtlichen Runden ungehindert fortsetzten – bis jetzt jedenfalls. Ein neuer Lumpensammler hatte sich in der Großen Arkade breitgemacht. Eine neue Gestalt, schweigsam wie die Schatten, schob sich durch die verlassenen Gänge, rasselte hier an einem Fensterladen, versuchte dort, ein Schloß zu öffnen, und verängstigte das Ungeziefer mit seinem menschlichen Geruch und seiner menschlichen Stimme. Sobald der Neuankömmling auftauchte, huschten Ratten und Insekten davon, um sich zu verstecken, unfähig zu begreifen, daß diese Störung ihrer friedlichen Existenz eine viel geringere Bedrohung war, als es den Anschein hatte – denn ihr Rivale war nur ein Kind.
Er mußte das Hündchen retten – das war der einzige Gedanke, der Grince während der letzten zwei oder drei oder vier Tage aufrechterhalten hatte – er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie lange er nun schon davonlief und sich versteckte, voller Angst um sein Leben, den kleinen Hund in den versengten Fetzen seines Hemdes verborgen. Voller Entsetzen war er geflohen, nachdem die Soldaten die Herberge gestürmt hatten, die dem schroffen, häßlichen Jarvas gehörte – und er hatte nach Emmie gesucht, seiner besten Freundin auf der Welt, die ihm alle fünf Hündchen geschenkt hatte, die ihre große weiße Hündin geworfen hatte. Vier dieser kleinen Lebensfünkchen lagen
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