Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
er laut sprach, half ihm, seine schwindende Entschlossenheit zu stärken. Jetzt mußte er nur noch die Orientierung wiederfinden.
Zum ersten Mal, seit er Hebbas Haus den Rücken gekehrt hatte, begann Yanis, auf seine Umgebung zu achten. Die Gebäude in der schmalen Straße waren immer noch dieselben verfluchten Dinger aus Backstein und Gips, obwohl ihm plötzlich aufging, daß er sich eigentlich bereits in dem älteren Teil der Stadt hätte befinden müssen. »Diese verdammten Häuser«, murmelte er angewidert. »Ich muß im Kreis gegangen sein.« Er blieb einen Augenblick stehen, sah sich um und versuchte ohne Erfolg, einen Orientierungspunkt zu finden. Verzagt mußte er sich eingestehen, daß im Augenblick die lange Heimreise das geringste seiner Probleme darstellte. In seinem Wutanfall hatte er nichts aus dem Haus mitgenommen als den Umhang, den er am Leibe trug, und schon jetzt war er so durchgefroren, daß ihm die Zähne klapperten. Verzweifelt sehnte er sich nach Wärme und einem Dach über dem Kopf – aber da er sich so gründlich verirrt hatte, hätte er jetzt nicht mehr zu Hebba zurückkehren können, selbst wenn er es gewollt hätte. Die verriegelten Türen und die fest geschlossenen Fensterläden der Häuser um ihn herum starrten ihn mit leeren, ausdruckslosen Gesichtern an. Bei der ungeheuren Gewalttätigkeit, die im Augenblick in Nexis herrschte, würden die Leute einem Fremden nach Einbruch der Dunkelheit kaum die Türen öffnen. Yanis stieß einen leisen Fluch aus. Es hatte keinen Sinn, einfach hier herumzustehen und immer nasser zu werden – nicht, daß er jetzt überhaupt noch nasser werden konnte, dachte er säuerlich. Schulterzuckend marschierte er also wieder weiter. Eine andere Wahl blieb ihm nicht.
Nach einer Weile faßte der Nachtfahrer jedoch neue Hoffnung, als er ans Ende einer Straße stieß, die von einer zweiten gekreuzt wurde: einer Straße, die zu seiner Linken steil hügelabwärts führte. Den Göttern sei gedankt! Yanis atmete erleichtert auf. Jetzt mußte er nur noch immer bergab laufen, dann würde er gewiß in den älteren Teil der Stadt gelangen. Vielleicht würde er dann auch seine Orientierung wiederfinden, unten, zwischen den verlassenen Lagerhäusern und den verfallenen Gebäuden in der Nähe des Hafens, die ihm außerdem auch ein Dach über dem Kopf bieten würden.
Yanis lief durch die einsamen Straßen, hielt den Kopf gesenkt und die Augen auf die trügerisch schlammigen Pflastersteine gerichtet und war immer sorgsam darauf bedacht, nicht auszurutschen, da sich seine Schritte auf dem steil nach unten führenden Weg bedenklich beschleunigt hatten. Das einzige Licht sickerte durch die Ritzen in den Fensterläden; hier und da hing eine Laterne über einem Hauseingang, und über manchen Gebäuden baumelten vom Regen verdüsterte Lampen, die Straßenkreuzungen anzeigten. Die Nässe, die ihm bis auf die Knochen ging, setzte dem jungen Schmuggler schwer zu, aber noch schlimmer war der Schaden, den Tarnals Fäuste bei ihrer abendlichen Keilerei angerichtet hatten. Da er von Kälte, Müdigkeit und unerfreulichen Erwägungen abgelenkt war, waren seine Selbsterhaltungsinstinkte nicht so wachsam wie sonst.
Yanis versuchte, den Anschein eines normalen Bürgers zu erwecken, der bei der Ausübung seiner gewohnten Pflichten in einen Regenguß geraten war und jetzt so schnell wie möglich nach Hause wollte. Er hatte vergessen, daß er nicht der einzige Gesetzlose war, der sich nach Einbruch der Dunkelheit in den Straßen von Nexis herumtrieb.
Im einen Augenblick lief Yanis noch mit langen Schritten seinem Ziel entgegen, im nächsten traf ihn etwas Hartes und Schweres von hinten, und er stolperte. Er prallte heftig gegen eine Wand und fiel mit dem Gesicht nach unten auf den durchweichten Boden, sein Schädel brummte, und sein Mund war voller Schlamm. Jetzt jedoch handelte er instinktiv und rollte sich keuchend zur Seite – aber ein Strahl kalten Feuers in seinem rechten Arm machte ihm klar, daß er zu spät reagiert hatte. Das Messer hatte sich direkt durch den Muskel seines Unterarms gebohrt, bevor seine Spitze die Pflastersteine darunter traf. Yanis schrie auf und riß seinen Arm so ruckartig weg, daß die Klinge der Hand seines Angreifers entrissen wurde und in seinem Fleisch steckenblieb. Noch atemlos vor Schmerz, erhaschte der Schmuggler einen Blick auf den Schatten, der sich über ihn beugte, eine dunkle Silhouette vor dem Flimmern einer Laterne in einem der nahen Hauseingänge.
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