Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
geschlungen hatte. Er lehnte mit dem Rücken an der gewölbten Wand des massiven steinernen Färbetrogs, und vor ihm brannte ein kleines Feuer. Ganz offensichtlich schien er seine Umgebung nicht wahrzunehmen, während er mit der fast leeren Flasche, die er mit festem Griff umklammert hielt, den Takt zu seinem Lied schlug. Er war ein Mann von mittleren Jahren, und für Yanis schienen die tief in sein hageres Gesicht eingemeißelten Furchen eher ein Zeichen von Leid zu sein als von Alter, obwohl der stumpfe Goldton seines glatten, fettigen Haars mit silbernen Strähnen durchzogen war. Sein Gesicht erschien ihm auf eine vage, ärgerliche Art vertraut zu sein – aber Yanis erhielt keine Gelegenheit, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Plötzlich war er am Ende seiner Kräfte angelangt, Schwindel erfaßte ihn, und während er sich noch vergeblich an die glatten Steine des Färbetroges zu klammern versuchte, geriet er ins Taumeln – und stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden, wobei er um ein Haar in dem Feuer des Fremden gelandet wäre.
»Sie hätte ja jünger sein können, das geb’ ich zu, aber ich, ich hab’ nur Augen für die Größe ihrer …« Benziorns Gesang fand ein jähes Ende, als jemand dicht neben seinem Feuer zu Boden fiel. »Was, zum Kuckuck …« Er erhob sich mühsam auf die Füße, sein Herz hämmerte wie verrückt, und er blickte mit zusammengekniffenen Augen auf die Erscheinung, die plötzlich vom Himmel gefallen zu sein schien. »Aber hier gibt es keinen Himmel, Benziorn, du alter Narr«, murmelte er mit der unwiderlegbaren Logik der Betrunkenen. »Nur ein Dach … Also kann er unmöglich vom Himmel gefallen sein …« Diese Sache wurde ihm langsam zu kompliziert. Na ja, überlegte er, ich sollte ihm wohl besser helfen, bevor er noch Feuer fängt …
Benziorn zog die zusammengekrümmte Gestalt ein Stück von den drohenden Flammen weg und ging neben seinem mysteriösen Besucher in die Hocke. Als er den Körper herumdrehte, stieß er einen überraschten Fluch aus. Also wirklich, war das nicht dieser Schmugglerjunge? Und in ernsten Schwierigkeiten, wie es schien. Irgend jemand hatte sein Gesicht ganz schön zugerichtet, aber größere Sorgen bereitete ihm im Augenblick der verwundete Arm, wo eine Klinge Fleisch und Muskeln durchtrennt und sich auf der anderen Seite ihren Weg ins Freie gebahnt hatte. Stirnrunzelnd und mit unsicheren Fingern beschäftigte sich der Arzt mit der provisorischen Aderpresse, die oberhalb der Wunde angelegt worden war. Dieses Ding mußte als erstes weg. Es war schon viel zu lange angelegt – der Arm darunter war bereits weiß und zeigte eine ungesunde bläuliche Färbung, während das Fleisch um den Lumpenstreifen herum angeschwollen war, so daß dieser nun um so fester saß und Benziorn alle Mühe hatte, ihn mit zitternden, trunkenen Fingern zu lösen.
»Emmie!« rief Benziorn instinktiv, während er sich weiter an dem verdammten Knoten abmühte. »Komm her und hilf mir – und bring meine …« Seine Stimme erstarb, während die Erinnerung, die er im Wein ertränkt hatte, sich wie eine Messerklinge von neuem in sein Herz bohrte. Emmie war fort. Jarvas war fort und all die alten Leute und die kleinen Kinder … Einen Augenblick trübte das Bild verkohlter und unkenntlich gewordener Leichen seinen Blick.
»Verdammter Mistkerl«, zischte Benziorn dem bewußtlosen Mann wütend zu. »Warum mußtest du hierher zurückkommen und mich an all das erinnern? Ich bin kein Arzt mehr – wo läge da auch der Sinn? Ich habe das Heilen aufgegeben, sag’ ich dir …«
»Nun, dann solltest du jetzt besser wieder damit anfangen – und zwar schnell.«
Benziorn fuhr herum und sah sich plötzlich Auge in Auge mit einer Speerspitze. Sein Blick verfolgte die lange funkelnde Klinge, immer weiter, hinauf und hinauf, bis er in die kalten Augen des anderen jungen Schmugglers sah – des kleinen Blonden, der ihm ebenfalls noch aus der schrecklichen Nacht von Pendrals Angriff in Erinnerung war.
Tarnal sah mit wachsendem Ärger hinunter auf die taumelnde Gestalt des Arztes mit dem verschleierten Blick. Was, zum Teufel, war nur los mit dem Mann? Dann roch er den Alkohol in Benziorns Atem, und sein Ärger verwandelte sich in Furcht. »Sitz da doch nicht gaffend rum, du betrunkener Narr. Tu was! Hilf ihm!« Die Schärfe in seiner Stimme, das wußte er, entsprang unter anderem seinem eigenen schlechten Gewissen.
Der junge Schmuggler war die ganze Nacht wach gewesen, hatte seinen Kampf
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