Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
hält mich immer irgend etwas – vielleicht die Angst, jemandem zu nahe zu treten – davon ab, diese Frage zu stellen. Vor allem deshalb, weil mein Volk und das deine ja seit so langer Zeit verfeindet sind. Und doch hatte ich das Gefühl, daß du mir wegen der langen Tage, die wir gemeinsam in der Höhle gefangen waren, eine gewisse Freundschaft entgegenbringst. Ich weiß, daß deine Gedanken damals nicht einfach nur die eines bloßen Tieres gewesen sein können. In der Nacht, in der du mich zum Turm gebracht hast, hast du meine Not verstanden, und als ich dich heute abend sah, dachte ich, daß du mich vielleicht – besser als jeder andere – verstehen würdest und bereit wärest, eine mögliche Kränkung durch einen Außenseiter und ehemaligen Feind zu vergeben.«
Iscalda fühlte sich von seinen Worten geschmeichelt und war nicht wenig überrascht. »In gewissem Sinne war es sehr klug von dir, daß du nicht die Krieger gefragt hast«, überlegte sie. »Früher einmal hätten deine Fragen – ja, schon deine bloße Anwesenheit in unserem Land deine augenblickliche Hinrichtung bedeutet. Und doch habe ich nicht das Gefühl, daß du mein Feind bist, Yazour. Wenn das, was ich von Chiamh gehört habe, der Wahrheit entspricht, daß nämlich dein Volk schon bald in einen Krieg eintreten wird, dann wird das Geheimnis unserer doppelseitigen Natur, das die Xandim so lange Zeit so eifersüchtig gehütet haben, in jedem Falle bald heraus sein.« Sie lächelte ihn an. »Also, stell deine Fragen, Yazour, und ich werde mich bemühen, deine Neugier zu befriedigen.«
Der junge Krieger breitete hilflos die Hände aus. »Ich weiß kaum, wo ich anfangen soll«, gestand er. »Ich – nun ja, da ist eine Sache, die mich besonders verwirrt …«
Iscalda lachte. »Du willst wissen, was mit den Kleidern passiert?« Selbst in dem schwachen Licht konnte sie sehen, daß er errötete. Um sie beide vor weiteren Peinlichkeiten zu bewahren, fuhr sie schnell fort. »Die verschiedenen Kleidungsstücke scheinen einfach auch nur ein Teil von uns zu sein und verändern sich, wie wir es tun – in Pferdehaar vielleicht –, wer weiß? Du könntest das Windauge danach fragen. Leder, Wolle, Flachs, Zügelriemen, geschnitztes Horn oder Knochen – alles, was einst lebendig war, verändert sich mit uns. Waffen, Schnallen, persönliche Besitztümer aus Metall oder poliertem Stein – solche Dinge verändern sich dagegen nicht. Wenn wir solche Gegenstände mitnehmen wollen, muß ein anderer sie für uns tragen, einer, der sich seine menschliche Gestalt bewahrt hat. Das erscheint manchmal unbequem, aber die Kleider sind jedenfalls immer da, wenn wir uns zurück in unsere Menschengestalt verwandeln, und das ist ja das wichtigste.«
Yazour lächelte. »In Anbetracht des barbarischen Klimas, das in diesen Bergen herrscht, kann ich nicht umhin, dir da voll und ganz zuzustimmen.«
Iscalda hatte schon bemerkt, daß der junge Mann stets mehr Kleider zu brauchen schien als ihre eigenen Leute, und doch hatte man ständig den Eindruck, daß er zitterte. Chiamh hatte ihr erzählt, daß die Sonne dort, wo Yazour herkam, viel heißer brannte, aber das lag außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Sie sollte jedoch keine Gelegenheit mehr bekommen, ihn danach zu fragen, denn schon hatte er selbst wieder das Wort ergriffen. »Wie ist dein Volk zu dem geworden, was es jetzt ist? Welche Geschichte habt ihr?«
Nun war es an Iscalda, mit den Schultern zu zucken. »Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Niemand weiß, woher wir kamen oder wie wir wurden, was wir sind – nicht einmal das Windauge. Es scheint, als hätten wir immer hier gelebt und wären immer das gewesen, was wir sind.«
»Und doch wußtet ihr, daß ihr anders wart als andere Rassen«, meinte Yazour nachdenklich.
»Ich glaube schon.« Iscalda nickte. »Das ist auch der Grund, warum wir die Fähigkeit, unsere Gestalt zu ändern, immer geheimgehalten haben. Verzeih mir, Yazour, aber dein eigenes Volk, die Khazalim, waren immer berüchtigt dafür, daß sie andere Rassen versklavten – und stell dir nur vor, welch nützliche Sklaven wir Xandim abgeben würden, wenn die Wahrheit bekannt würde!«
»Niemand wird euch versklaven!« Die Nachdrücklichkeit von Yazours Antwort überraschte Iscalda. »Das Geheimnis der Xandim wird bei mir immer sicher aufgehoben sein«, versicherte er ihr. »Selbst wenn es anders wäre, im Land der Khazalim gelte ich als Verbannter, und es ist mir bei Todesstrafe verboten
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