Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
unternahm, war es von großer Wichtigkeit, daß Eliseth ihre Spione postierte.
Eliseth nahm den Gral und füllte ihn zur Hälfte mit Wasser, bevor sie ihn auf den Tisch stellte. Dann, nachdem sie sich bequem hingesetzt hatte, bückte sie in die tintenschwarzen Tiefen und konzentrierte all ihre Gedanken auf Anvar.
Zunächst passierte gar nichts. Die Magusch saß reglos da; ihr Kopf schmerzte bereits von der Anstrengung, der Konzentration – aber noch immer erschien kein Bild im Gral. Was, bei allen Göttern, stimmte da nicht? So etwas war einfach nicht möglich! Eliseth verspürte einen Anflug von Ungeduld – und den Hauch eines Zweifels. Aber sie ließ nicht locker, bis die Mittagssonne durch ihre Fenster fiel. Das harte Licht brannte ihr um ein Haar die Augen aus dem Kopf, als die Strahlen die Oberfläche des Wassers trafen, und Eliseth sprang mit einem bösen Huch zurück; das sorgfältig konstruierte Gebäude ihrer Konzentration war in tausend Stücke geborsten.
Die Magusch verstand einfach nicht, was da geschehen war – sie konnte ja nicht wissen, daß der Geist, den sie zu beherrschen hoffte, noch nicht in seinen Körper zurückgekehrt war und daß ein anderer Anvars Stelle eingenommen hatte, einer, über den sie keine Macht besaß. Sie wußte nur, daß ein wichtiger Teil ihrer Pläne gescheitert war. Mit einem neuerlichen Fluch schleuderte sie den Gral von sich. Er flog quer durch den Raum und ergoß sein Wasser in einem hohen, glitzernden Bogen über den Teppich. Mit einem grellen Blitz schlug er schließlich gegen die Wand, und ein Sternennebel feiner Risse breitete sich von der Stelle aus, an der das Artefakt den Stein getroffen hatte. Eliseth keuchte entsetzt auf, als ein – allzu deutliches – Bild vor ihrem inneren Auge aufblitzte, das Bild des Turmes, der aus seinen Verankerungen brach und in tausend Trümmern den Berg hinunterkrachte. »Verflucht! Sei doch vorsichtig!« warnte sie sich. »Das Ding ist kein verdammtes Spielzeug!«
Vorsichtig nahm sie den Gral wieder auf, untersuchte ihn auf mögliche Schäden und wischte ihn mit dem Saum ihres Gewandes ab. Ein- oder zweimal pulsierte er verdrossen, dann lag er wieder reglos in ihren Händen. Eliseth lief, das kostbare Artefakt an sich gedrückt, in ihrem Zimmer auf und ab. Was konnte sie tun? Sie mußte eine Möglichkeit finden, sich über die Bewegungen ihrer Feindin zu informieren! Nach einer Weile hatte sie endlich die Antwort gefunden. Sie war zwar nicht besonders optimistisch, aber sie konnte es ja noch einmal mit Vannor versuchen.
Seufzend füllte die Magusch den Kelch erneut. Sie hatte Vannor schon vor langer Zeit verlassen. Nachdem der elende Tölpel erst den Angriff auf die Phaerie derart verpfuscht und sich dann auch noch von Hellorins verfluchten Horden hatte gefangennehmen lassen, war er ihr nicht mehr von Nutzen gewesen – aber auch niemandem sonst, dachte sie gehässig. Es war jedoch lange her, daß sie sich das letzte Mal auch nur die Mühe gemacht hatte, eine Verbindung zu ihm herzustellen – vielleicht hatte sich inzwischen ja etwas geändert … Was sie ihm im übrigen auch raten wollte, dachte sie verbittert. Eine winzige Chance bestand tatsächlich, aber es war auch ihre letzte und einzige Hoffnung. Mit verengten Augen beugte Eliseth sich abermals über den Gral und konzentrierte ihren Willen auf den ehemaligen Hohen Herrn von Nexis.
Maya stand auf dem üppigen grünen Rasen vor Hellorins Palast und sah zu, wie die frühe Morgensonne das weiche Gras mit ihrem smaragdenen Feuer berührte. Wie sehr sie sich wünschte, ein Schwert in der Hand zu haben! Es hätte ihr vielleicht geholfen, die Tapferkeit zu heucheln, die sie nicht verspürte – jetzt, da sie ihren Mut dringender brauchte als je zuvor in ihrem Leben. An diesem Morgen schien die ganze Welt nur aus Dingen zu bestehen, die sie nicht wollte – sie wollte nicht, daß D’arvan ging, sie wollte nicht zurückgelassen werden. Und ganz gewiß wollte sie nicht ausgerechnet zu dieser Zeit ein Kind unterm Herzen tragen – schon gar nicht eins, das sie mit Hilfe dieser unheimlichen Phaeriemagie empfangen hatte, statt auf natürlichem Wege, wie es sich gehörte. Bei den Göttern – was soll ich bloß mit einem Kind anfangen, dachte sie verzweifelt. Ich bin eine Kriegerin, verdammt noch mal – ich bin überhaupt nicht zur Mutter geeignet. Der Gedanke entsetzt mich – ich weiß ja nicht mal, wo ich beginnen soll.
Sie hatte in dieser Angelegenheit jedoch keine Wahl.
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