Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
es ein Kinderspiel gewesen, die beiden verdrossenen Geflügelten für sich zu gewinnen. Skua hegte einen alten Groll gegen die Königin. Nach Berichten des Hohenpriesters hatte Rabe seine Autorität von Anfang an untergraben. Skua wußte natürlich, daß ein Großteil ihrer Feindseligkeit gegenüber dem Tempel seinen Ursprung in den furchtbaren Taten seines Vorgängers Schwarzkralle, seines Vorgängers, hatte; eines Tages mußte der Kampf zwischen Krone und Tempel um die Macht über das gemeine Volk jedoch endgültig entschieden werden. Sonnenfeders Groll gegen Königin Rabe hatte dagegen weit weniger mit den Feinheiten der Politik zu tun. Er konnte ihr einfach nicht verzeihen, daß sie ihn an jenem lange vergangenen Tag vor dem Hohen Rat gedemütigt hatte. Außerdem verzehrten ihn Eifersucht und bitterer Zorn auf den niedrig geborenen Aguila, der in die hohe Position des Prinzgemahls erhoben worden war.
Die drei Verschwörer hatten schnell einen Plan gefaßt. Man beschaffte sich eine gewöhnliche, alltägliche Harfe, und Eliseth umgab sie mit einem kleinen Zauber, der ihr einen besonderen Glanz schenkte. Dann verkündete Skua der Gemeinde im Tempel, daß es dem großen Gott Yinze in seiner Weisheit gelungen sei, die Harfe der Winde wieder in die Hände seiner Himmelskinder, zu legen. Eliseth, die aus ihrem Versteck zusah, hatte ihre eigene Zauberkraft benutzt, um die sorgfältig einstudierten ›Wunder‹ der Harfe zu manipulieren.
Die Himmelsleute waren außer sich: verrückt vor Freude und Hoffnung. Wenn es einem Mitglied ihrer Rasse gelang, seine magischen Kräfte zurückzuerlangen, warum sollte es dann nicht ihnen allen gelingen? Nur die Königin und ihr Gemahl zeigten sich von Skuas Behauptungen wenig beeindruckt und verliehen ihren Zweifeln auch laut Ausdruck, denn Rabe wußte sehr gut, wie die wahre Harfe aussah. Außerdem wußte sie, daß Anvar die Harfe erobert und mit einer Macht an sich gekettet hatte, die kein Sterblicher zerreißen konnte, ob er nun Hoherpriester war oder nicht. Solche Argumente trafen bei ihren Untertanen jedoch auf taube Ohren.
Fast über Nacht mußte die Herrscherin der Himmelsleute entdecken, daß sie die Unterstützung ihrer Untertanen verloren hatte. Die Leute wärmten die alten Geschichten ihrer Verbindung mit den Erdlingen wieder auf und tuschelten über Schwarzkralles Verbündeten, Harihn. Abermals wurden Zweifel an Rabes Urteil laut. Skua äußerte offen Kritik an ihr, und die Öffentlichkeit unterstützte die Syntagma und die Tempelwache. Klugerweise waren die Königin und ihre Familie aus Aerillia geflohen – gerade rechtzeitig, um ihr Leben zu retten.
Nun, überlegte Eliseth, während sie an ihrem langsam abkühlenden Wein nippte, sie war keineswegs erhaben darüber, sich ein Beispiel an Rabe zu nehmen. Rechtzeitiges Handeln war das Geheimnis der meisten Erfolge – und dank der Vorwarnung des Grals wußte sie, daß es höchste Zeit war, das nächste Stadium ihrer eigenen Pläne in Angriff zu nehmen. »Wenigstens komme ich dann aus diesem ungemütlichen Quartier und dieser bedrückenden Stadt heraus«, dachte die Magusch laut. »Ich freue mich schon darauf, an einem Ort zu leben, wo ich es endlich wieder warm haben werde.«
Jetzt, da Eliseth hier die Macht an sich gerissen hatte, war ihr Werk getan. Niemals hatte sie mit dem Gedanken gespielt, sich zur Königin über diesen elenden, eiskalten Felsbrocken am Ende der Welt aufzuschwingen – ganz davon abgesehen, daß die Himmelsleute sie, die nicht einmal ein Mitglied ihrer eigenen Rasse war, jemals als Herrscherin akzeptiert hätten. Und wer wollte schon eine Stadt beherrschen, in der man sich nicht einmal in der Öffentlichkeit zeigen konnte? Nein, Aerillia war für Eliseth nur ein Mittel zum Zweck gewesen, und es würde ihren Plänen auch dann noch gute Dienste leisten, wenn Skua herrschte – unter ihrem Kommando. Die Wettermagusch war nun zum Aufbruch bereit; endlich würde sie sich an den Ort begeben, der das Herz und das Zentrum ihres Reiches darstellen sollte: Dhiammara.
Eliseth erhob sich und trat ans Fenster, so daß die Decke von ihrem Schoß zu Boden glitt. Es blieb noch ein Letztes zu tun, bevor sie Aerillia verließ. Sie zweifelte nicht daran, daß Aurian schon bald herausfinden würde, daß sie sich nicht länger im Norden aufhielt – falls sie es nicht bereits wußte. Schon bald würden sich die Blicke und die Gedanken ihrer Feindin auf das andere Ufer des Ozeans richten – und bevor Aurian etwas
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