Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
abschütteln. Grince blieb inmitten der herabgefallenen Bücher auf dem Boden sitzen und wagte es nicht, aufzustehen, wagte es nicht mal, zur Tür zurückzugehen, aus Angst vor dem, was ihm in der Dunkelheit begegnen mochte.
Lange Minuten verstrichen, während er wartete und versuchte, möglichst lautlos zu atmen und auf das leiseste Geräusch in der Kammer zu lauschen. Nach einiger Zeit wurde ihm klar, wie töricht er sich benahm. Es war niemand außer ihm in diesem Raum – natürlich nicht. Und wenn doch jemand hier bei ihm war, brauchte Grince gar keine Kerze, um ihn zu sehen – er hatte die ganze Zeit über buchstäblich auf der Lösung seiner Probleme gesessen. Er durchstöberte seine Tasche nach Feuerstein und Zündholz, griff dann nach dem nächstbesten Buch und riß die Seiten heraus.
Beim vierten oder fünften Versuch hatte er endlich Erfolg, und ein dünner, beißender Rauch trieb dem Dieb die Tränen in die Augen. Mit einiger Mühe gelang es ihm schließlich, eine winzige Flamme zu entzünden, die sich zuerst in den Stapel der zerknitterten Seiten hineinfraß und dann wie eine sich öffnende Knospe erblühte. Als Grince vor Erleichterung tief aufseufzte, ließ sein Atem die Flammen tanzen, als sei das Feuer ein lebendiges Wesen. Grince spürte, wie sein Gesicht und seine Hände sich langsam erwärmten. Während das hungrige Feuer immer kräftiger wurde, begann das bernsteinfarbene Licht die Dunkelheit zu verzehren und breitete sich bis zu den Wänden des Raumes hin aus. Schnell warf Grince neue Seiten in die Flammen. Er würde seine Lichtquelle am Leben erhalten müssen, bis er eine Möglichkeit gefunden hatte, sie auf seine Wanderung mitzunehmen. Papier allein würde für seine Zwecke zu schnell verbrennen, aber wenn er in der Kammer etwas Holz fand – einen Stuhl oder vielleicht ein Regal, das er in Stücke brach, konnte er sich vielleicht ein paar einfache Fackeln machen, die ihm den Heimweg erleuchten würden.
Dies mußte einer der größeren Räume sein. Das Licht seines kleinen Feuers reichte nicht ganz aus, um die Ecken oder die schattigen Alkoven zu beleuchten, die hier und da in der ihm am nächsten gelegenen Wand eingelassen waren. Auch der Qualm verringerte die Sicht. Der dichte Rauch erhob sich jetzt in erstickenden Wolken zur Decke und brannte dem Dieb in den Augen. Schließlich warf Grince noch eine Handvoll Seiten in die Flammen, stand dann hastig auf, wandte sich von dem Feuer ab und ging quer durch den Raum auf die rechte Ecke zu. Als er an den ersten Alkoven kam, trat er in dessen Schatten hinein und blinzelte, um in dem schummrigen Licht besser sehen zu können. Als eine weitere Seite Feuer fing, wichen die Schatten für einen Augenblick zurück, um eine hünenhafte Gestalt mit kalten, glitzernden Augen preiszugeben. In dem Alkoven stand jemand!
Grince schrie auf. Er wollte weglaufen, konnte sich aber nicht von der Stelle rühren. Statt dessen gaben seine Beine unter ihm nach. Hinter ihm machten sich abermals die Schatten breit, als sein Feuer erlosch, aber trotz der Düsternis konnte Grince nicht anders, als den Kopf in den Nacken zu legen und hinaufzuschauen. Der hypnotische Blick dieser glitzernden blauen Augen hatte ihn vollkommen in seinen Bann gezogen.
Sie standen wartend am Fuß des Turmes, als Shia Khanus Augen im Mondlicht hell aufblitzen sah. »Es wäre besser, Aurian würde sich etwas beeilen«, sagte er. »Sie ist jetzt so lange weg, daß ich mir langsam Sorgen mache. Und was kann da nur passiert sein? Was ist dem armen Anvar zugestoßen?«
»Das wüßte ich auch gerne – ich habe nicht mal die Hälfte von dem verstanden, was Aurian mir erzählt hat«, gab Shia zu. »Ich habe kein Zutrauen zu diesem Ort – und ich vertraue auch diesem Menschen nicht, den sie da gefunden hat, diesem Menschen, der den Körper eines anderen übernehmen konnte«, fügte sie düster hinzu.
»Du vertraust überhaupt keinem Menschen, abgesehen von unseren Freunden«, bemerkte Khanu, »genausowenig wie ich. Außerdem mag ich diese Stadt auch nicht – sie ist irgendwie unnatürlich. Gefährlich. Ich wünschte, wir wären wieder in den Bergen.«
Shia warf ihm einen wütenden Blick zu. »Wo Aurian hingeht, da gehe ich auch hin«, sagte sie feierlich. »Ich möchte nirgendwo anders sein.«
»Nun, du könntest ja zur Abwechslung mal sie bitten, dahin zu gehen, wo du hin möchtest«, gab Khanu unerschrocken zurück. Dann fuhr er sich geziert mit der Zunge über Nase und Schnurrbarthaare.
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