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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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fremde schwere Messer, mit dem Hadrian das Seil durchschnitten hatte, stammte vom Tisch. Er hatte sich daran Handfläche und Finger leicht verbrannt. Nun betrachtete er das Muster der geröteten Haut. Das Heft war aus Kupfer und unverhältnismäßig dick gewesen, mit halbrundem Handschutz und ebenfalls sehr dicker Klinge. Es hatte nicht Jonah gehört.
    Er setzte sich auf und hielt nach Nash Ausschau. Die anderen Gefangenen lagen auf ihren Pritschen, aber der junge Dieb hatte seine Socken gewaschen und versuchte gerade, sie über der einsamen Kerzenlaterne zu trocknen, die auf dem Tisch stand.
    »Schwerter«, sagte Hadrian, als er zu ihm ging. »Wer hat Schwerter? Und wieso würde jemand eines davon zu einem schweren Messer umarbeiten?«
    Nash zuckte die Achseln. »Wenn irgendwo ein Schwert gefunden wird oder auf dem Schwarzmarkt auftaucht, will jeder es haben. Und zu Hause merken die Leute dann, wie unhandlich so ein Ding ist. Aber wer praktisch denkt, schleift es auf eine brauchbare Größe herunter.«
    »Und wer denkt praktisch?«
    »Farmer«, erwiderte der junge Mann und überlegte. »Fischer, Müller, vielleicht Schlachter und Zimmerleute oder sogar …«
    Ein leiser monotoner Pfiff ließ Nash verstummen. Mit finsterer Miene schaute er zu einem grobschlächtigen Kerl, der auf einer Pritsche in der Nähe der Tür saß. »Du kannst mich mal, Wade«, herrschte der junge Mann den bärtigen Häftling an und wandte ihm dann wieder den Rücken zu.
    »Falls du nachts in die Bibliothek wolltest«, fuhr Hadrian fort, »wie würdest du das anstellen?«
    Erneut dieser Pfiff. Hadrian blickte abermals zu Wade. Es war eine Botschaft unter Gefangenen, eine Warnung, den Mund nicht zu voll zu nehmen.
    »Aber Mr. Boone«, sagte Nash. »Ich würde nie … nicht die Bibliothek. Meine Mutter geht dorthin. Sie kommt all die Meilen in die Stadt, bloß um ein Buch auszuleihen.«
    »Nur mal angenommen.«
    Nash biss sich auf die Unterlippe. »Ich möchte wetten, der alte Mr. Jonah hat die Türen zu seinem Balkon im ersten Stock nie verriegelt. Mit einer Leiter kommt man leicht dort hinauf. Aber wahrscheinlich ist nicht mal das nötig. Die Bibliothekarin arbeitet oft noch spät am Abend. Sie lässt den Eingang offen, damit die Leute ihre Bücher zurückbringen können.«
    Hadrian nickte dem Jungen dankbar zu und kehrte zu seiner Pritsche zurück. Er war so in Gedanken versunken, dass er die Papierfetzen erst bemerkte, als er sich auf sie setzte. Sofort sprang er wieder auf. In dem trüben Licht konnte er kaum etwas erkennen. Es waren Dutzende von Papierstreifen. Er hob einige auf und trug sie zu der Laterne. Nash wich verunsichert zurück.
    Schaudernd sah Hadrian, dass es sich um edles Pergament handelte. Manche der Stücke waren mit einer klassischen Schriftart bedruckt, andere in den bunten Farben einer Landkarte. An der Tür fing jemand mit tiefer, rauer Stimme an zu lachen.
    Hadrian lief zu Wade und warf ihm die Fetzen ins Gesicht.
    »Du hast heute ein Buch gestohlen!«, rief er.
    Der Maulheld der Zelle hielt einen elegant gebundenen Band hoch, betitelt
Die geographische Beschaffenheit der Erde
, darunter die Jahreszahl
1900
. »Ich kann mir jetzt einen Monat lang den Hintern abwischen. Das Zeug, das auf der Latrine liegt, ist wie Sandpapier.«
    »Dieses Buch ist unersetzlich!« Hadrian ballte die Fäuste.
    »Mein Hintern auch!« Einige der Männer auf den benachbarten Pritschen fielen in Wades spöttisches Gelächter ein.
    »Es ist Eigentum der Kolonie.«
    Wade, ein Fischer, der hier eingesperrt war, weil er während einer Kneipenschlägerei seinen Gegner mit einem Messer verletzt hatte, klappte das Buch auf. Die Seite trug die Überschrift
Die Länder Asiens
und zeigte auf einer Farbtafel die Chinesische Mauer. Mit höhnischer Freude riss Wade das Blatt heraus und wies mit dem Daumen auf Hadrian.
    »Unser vornehmer Gast ist immer noch viel zu sehr von ihm eingenommen«, verkündete der stämmige Kerl, während die anderen Häftlinge sich um Hadrian scharten. »Ich glaube, er begreift nicht ganz, was auf dieser Welt wirklich wichtig ist.«
    Hadrian spürte, wie man ihn an den Armen packte. »Von
sich
eingenommen«, sagte er. »Von
sich
. Du hättest nicht von der Schule abgehen sollen, Wade.«
    Wade lachte erneut. »Vielleicht ist Seine Hoheit auch bloß hungrig«, sagte er und nickte. Es war ein Signal. Hadrian wurde zu Boden geworfen. Drei der Gefangenen knieten sich auf seine Arme und Beine, ein weiterer drückte ihm die Nase

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