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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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zu.
    Hadrian hielt so lange wie möglich die Luft an. Als er schließlich nach Atem ringen musste, stopfte man ihm die Buchseite in den Mund. Einer der Männer griff ihm ans Kinn und bewegte den Unterkiefer auf und ab, um Hadrian das Papier kauen zu lassen. Er erstickte beinahe daran. Würgend kroch er zum Aborteimer und erbrach die Seite.
    Als Hadrian am Ende auf seine Pritsche fiel, drehte er sich zur Wand und hielt sich die Brust. Die anderen wussten nicht, dass er unter seinem Hemd ein Dutzend geretteter Seiten versteckte.
    Am nächsten Morgen musste Hadrian in der Zelle zurückbleiben, während man die anderen Gefangenen zum Arbeitseinsatz wegführte. Als der Wärter verkündet hatte, dass Hadrian nicht mitkommen würde, hatte Wade höhnisch gegrinst und war sich mit der Handkante über die Kehle gefahren. Sie alle wussten, dass der Gouverneur sich an niemandem so gern wie an ihm abreagierte, und heute würde Buchanan vermutlich in der entsprechenden Stimmung sein. Hadrian ging in der Zelle auf und ab und blieb bei Nashs Pritsche stehen, weil ihm die blutige Decke auffiel. Der junge Dieb war im Laufe der Nacht verprügelt worden.
    Boone blickte aus dem Fenster den Hügel hinauf zu der schwelenden Bibliothek und rechnete damit, jeden Augenblick den Schlüssel in der Zellentür zu hören. Dann wurde ihm bewusst, dass Buchanan den Großteil der Nacht wach geblieben sein musste und bis zum Nachmittag keine Termine wahrnehmen würde. Er legte sich wieder hin und versuchte zu schlafen, sah aber jedes Mal Jonah von dem Dachbalken baumeln, sobald er die Augen schloss. Also lief er abermals umher, probierte und verschmähte das Porridge, das noch vom Frühstück übrig und inzwischen kalt und zäh war, und ging dann zu Wades Pritsche. Er benötigte nur einen Moment, um das alte Buch zu finden. Es war in der Pferdehaarfüllung der Matratze verborgen. Hadrian überlegte, ob er es anderswo verstecken oder gar durch die Türluke werfen sollte, damit einer der Wärter es finden würde. Dann blätterte er es durch und bewunderte die prächtigen handgezeichneten Karten, insgesamt fast zwanzig an der Zahl. Falls Wade das Buch nicht wieder hier vorfand, würde er Hadrian zusammenschlagen. Falls einer der Polizisten es in die Finger bekam, würde er es wahrscheinlich ebenfalls auf der Latrine verwenden. Hadrian riss die Karten heraus und stopfte sie sich unter das Hemd.
    Er stand einige Minuten an der Tür und presste seine Wange an die vergitterte Luke, um den leeren Korridor zu beobachten. Dann befestigte er das dreckige Handtuch mit einigen Holzsplittern über der Luke. In seiner Socke steckten die Pergamentstücke, die er während des Feuers unter Jonahs Tisch eingesammelt hatte. Er holte sie nun hervor und legte sie vor sich auf den Tisch, mit der beschriebenen Seite nach oben. Dann ordnete er sie. Mit den Außenkanten fing er an. Als er die braunen und violetten Ranken aneinanderfügte, die entlang des zweieinhalb Zentimeter breiten Randes verliefen und unten ein kleines Segelschiff einrahmten, erkannte er die Seite wieder. Sie stammte aus Jonahs geheimen Aufzeichnungen; Hadrian hatte den alten Mann erst gestern daran arbeiten sehen.
    Es war ein Kunstwerk, akkurat bis ins Detail. Nur der rechte Rand war unvollständig; jemand hatte dort zwei halbkreisförmige Stücke herausgerissen.
    Der in eleganter Handschrift verfasste Text in der Mitte der Seite las sich irgendwie idyllisch:
     
    Bei Tagesanbruch konnte man auf dem goldenen Wasser die zehn Dampfer der Flotte sehen. Die Wanderer sind alle nach Hause zurückgekehrt. Das Erntedankfest geht weiter, mit Besuchern von entlegenen Farmen und Kindern, die aus weit aufgerissenen Augen die riesigen Kürbisse bestaunen. Gestern Abend wurde der aufgehende Mond von Flöten und Fiedeln begrüßt. Die fröhliche Ausgelassenheit der Tanzenden hallte durch das ganze Tal.
     
    Über den Feldern voller Korn, klar im kühlen Septembermorgen, erstrecken sich weithin die Obstplantagen, deren Äste sich unter Äpfeln und Pfirsichen biegen. So schön wie der Garten des Herrn.
     
    Zumindest der zweite Absatz kam Hadrian vage vertraut vor. Er hatte ihn irgendwo schon mal gelesen, wenngleich am Ende etwas zu fehlen schien. Er schob die Fetzen dichter zusammen, als würden dadurch weitere Worte erscheinen. Ihm war nicht klar, was er übersah, aber er hatte den Verdacht, dass mehr dahintersteckte, eine verborgene Botschaft. Jonah Beck hatte großes Vergnügen an den Geheimnissen der Sprache und an

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