Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
Vom Netzwerk:
Wortspielen gehabt. Oberflächlich betrachtet war der Text eine Schilderung des wichtigsten Ereignisses der letzten Woche und hätte so auch in der Tageszeitung stehen können. Doch er hatte zu Jonahs geheimen Aufzeichnungen gehört und war vorsätzlich zerstört worden. Hadrian hielt inne und sah aus dem Fenster. Aber wann? Im Zuge des Mordes oder schon vorher?
    Hadrian schob die Teile auseinander und langsam wieder zusammen, trug mehrere von ihnen zum Fenster und hielt sie gegen die Sonne, wobei die künstlerische Wirkung ihn immer aufs Neue beeindruckte. Er wusste aus Erfahrung, dass Jonah sich für eine einzelne Seite mitunter eine ganze Woche Zeit genommen hatte. Allerdings hatte er nur spätnachmittags und abends daran arbeiten können, denn tagsüber war er mit Blaupausen und Entwürfen beschäftigt gewesen. Jonah hatte sein Tagebuch vor Hadrian zwar nicht gerade versteckt, aber er hatte sich auch nie konkret dazu geäußert. Hadrian hatte stets angenommen, der alte Mann halte darin schlicht den Alltag in der Kolonie fest.
    Während er frustriert die Seite anstarrte, wurde er plötzlich von Müdigkeit ergriffen. Er sammelte die Teile ein und streckte sich auf seiner Pritsche aus.
     
    Es war fast Mittag, als eine kräftige Gestalt Hadrian mit einem groben Stoß des Schlagstocks weckte. »Mach dich erst mal sauber, bevor du zum Gouverneur gebracht wirst«,knurrte Sergeant Kenton und scheuchte Hadrian den Korridor entlang und weiter nach draußen zum Pferdetrog. Als er fertig war, warf Kenton ihm die gelbe Armbinde zu, die Gewohnheitsverbrecher in der Öffentlichkeit tragen mussten. Erwartungsvoll verfolgte der Sergeant, wie Hadrian die Binde über den Ärmel streifte. Er hatte Hadrian noch nicht wegen des Vortags bestraft. Kenton ließ sich Zeit; er würde dem Gouverneur den Vortritt lassen.
    Nachdem Kenton ihn in Buchanans Büro abgeliefert hatte, schob der Gouverneur ihm wortlos eine dünne Zeitung über den Tisch. Die Kolonie hatte nicht genug Papier, um die Bürger mit eigenen Exemplaren zu versorgen. Dieses Privileg wurde nur hohen Beamten zuteil; alle anderen mussten sich mit den Aushangtafeln begnügen, die überall in der Kolonie standen.
    Verärgert überflog Hadrian den ersten Artikel, dessen Schlagzeile den Selbstmord des legendären Wissenschaftlers und Ratsherrn Jonah Beck bekannt gab. Die Polizei sei wenige Augenblicke zu spät eingetroffen, um ihn wiederzubeleben, habe dann aber ein Feuer entdeckt, das tragischerweise an einer anderen Stelle des Gebäudes ausgebrochen sei. Dank des beherzten Eingreifens habe die Bibliothek und der Großteil des Buchbestands gerettet werden können. Gouverneur Buchanan habe den morgigen Tag zum offiziellen Trauertag erklärt. Am Mittag werde ein Staatsbegräbnis stattfinden.
    Als Buchanan endlich aufblickte, ergriff Hadrian als Erster das Wort. »Du brauchst mich nicht. Du hast bereits alles geregelt. Jonah ist einer suizidalen Anwandlung erlegen. Du hast verfügt, dass das Feuer in keinem Zusammenhang damit stand. Hastings’ Leiche liegt inzwischen bestimmt in dreihundert Metern Tiefe auf dem Meeresgrund. Du hast das gemacht, was du am besten kannst, wenn die Realität dir zuviel wird. Du manipulierst die Wahrheit im Namen der öffentlichen Ordnung.«
    Buchanan schwieg eine ganze Weile. Von draußen auf dem Flur waren leise Stimmen zu vernehmen. Hadrian drehte sich um und sah erschrocken, dass der Polizist am Empfangstisch abgelöst wurde und seine Pistole einem hochgewachsenen blonden Muskelmann aushändigte.
    »Mein Gott!«, sagte Hadrian. »Du glaubst, du bist der Nächste.«
    Buchanan stand auf. »Lassen Sie niemanden durch, Björn«, befahl er seinem neuen Wachposten und schloss die Tür.
    »Du erzählst der Kolonie, Jonah habe sich das Leben genommen«, stellte Hadrian bedächtig fest und musterte den Gouverneur. Ihm fielen die Sorgenfalten rund um Buchanans Augen auf. »Aber insgeheim fürchtest du dich vor dem Mörder.«
    Der Gouverneur stand am Fenster und schaute hinaus auf das Binnenmeer, das in der frischen Herbstbrise grau und aufgewühlt war. »Es sind unruhige Zeiten. Ich habe nicht all die Jahre überlebt, um mir jetzt eine Klinge zwischen die Rippen stoßen zu lassen.«
    Hadrian überlegte fieberhaft. »Irgendetwas an Jonahs Tod ängstigt dich.« Auch das war eine Feststellung, keine Frage.
    »Der Täter muss aufgehalten werden.«
    »Du hast der Welt verkündet, dass es keinen Täter gibt. Also muss auch niemand aufgehalten werden. Wir haben in

Weitere Kostenlose Bücher