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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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unvorstellbar es scheinen mochte –, rückwärts zu gehen und das Schiff mitzuziehen.
    Es war schon lange her, dass Hadrian zuletzt einen Gewehrschuss gehört hatte, und im ersten Moment erkannte er den kurzen Knall gar nicht, der über das Eis hallte. Doch dann sah er Björns Bein zucken und Blut daraus hervorschießen. Hadrian wollte dem Norger zu Hilfe eilen, doch die plötzliche Bewegung ließ ihn ausrutschen und fallen. Während er sich wieder aufrappelte, schien alles auf einmal in Zeitlupe abzulaufen, wie in einem alten Film. Das Gewehr bellte ein weiteres Mal auf, und diesmal zuckte Björns Leib, weil das Projektil ihn in den Bauch traf. Das Boot drehte sich langsam wieder in den Wind. Der dritte Gewehrschuss ließ Blut aus Björns anderem Bein spritzen. Björn brach zusammen, und das Boot zog ihn mit sich.
    Hadrian rannte rutschend und schlitternd los, doch er erreichte den Verwundeten zu spät. Björn streckte eine blutige Hand aus. Hadrian hechtete vor und bekam sie zu fassen, aber dann entglitt sie ihm sofort wieder. Björn sah ihn mit traurigem Lächeln an. »Sie müssen sie retten«, sagte er. Dann war er weg. Eine plötzliche Windbö ließ den Frachter davonrasen, und der Norger wurde mitgerissen.
    Niemand sprach. Hadrian starrte dem Boot hinterher und blickte dann auf seine eigene blutbefleckte Hand.
    Jori fand als Erste ihre Stimme wieder. »So knapp«, sagte sie und stützte Hadrian. »Zuerst dachte ich, Björn würde auf die Männer schießen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich dachte, er würde auf die Besatzung zielen und sie verfehlen. Aber er hat sein Ziel getroffen, mit jedem Schuss.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Die Strebe. Er hat auf die Mitte der hinteren Strebe geschossen, um sie bersten zu lassen. Ich glaube, es wäre ihm fast gelungen. Ich konnte die Splitter fliegen sehen.«
    Hadrian hob den Kopf. Er war wie betäubt.
    »Die sind schnell«, sagte sie und zeigte dann auf den kleinen Eissegler. »Aber nicht schnell genug. Die bleiben in Ufernähe, weil sie fürchten, im Nebel vom Kurs abzukommen. Damit nutzen sie den Wind nicht optimal aus. Weiter draußen werden wir viel schneller sein. Wir können in einem großen Bogen auf sie herabstoßen. Falls es uns gelingt, die geschwächte Strebe zu rammen, verlieren sie den Ausleger.«
    Hadrian und Dax liefen zu dem Eissegler.
     
    Hadrian war klug genug, Jori das schnittige kleine Gefährt steuern zu lassen und ihr nicht in die Quere zu kommen. Er hatte den Arm um Dax gelegt und neigte sich auf dem einzigen Passagierplatz möglichst weit nach hinten. Die von den Auslegern aufgewirbelten Eiskristalle stachen auf seinen Wangen. Der Wind zerrte an der Takelage, bis es so schien, als könne sie der Belastung keine Sekunde mehr standhalten. Trotzdem wurde das Boot immer schneller. Hadrian erinnerte sich an eine Unterrichtsstunde vor vielen Jahren, als die ersten Eissegler gebaut wurden. Einer der Mathematiklehrer hatte anhand von Diagrammen und Formeln veranschaulicht, weshalb die Segler mindestens die fünffache Windgeschwindigkeit erreichen konnten. Bei so kleinenBooten fungierte die Segelfläche als eine Art vertikale Schwinge.
    Er verlor jegliches Zeitgefühl, während sie auf den See hinausrasten, beobachtete die Wolken hoch über ihren Köpfen und schaute immer wieder verunsichert zu den Nebelbänken entlang des Ufers. Es war gewiss unmöglich, den Kurs und die Geschwindigkeit mit ausreichender Präzision vorauszuberechnen. Bestimmt würden sie sich eher im Nebel verirren oder auf eine der Stellen mit dünnem schwarzem Eis stoßen, die immer wieder unerwartet auftauchten, und im See versinken. Doch dann sah er die wilde Entschlossenheit in Joris Blick. Er wickelte die Decke fester um den Jungen und lauschte dem Lied ihrer Überfahrt.
    Auf einmal riss Jori abrupt das Ruder herum, und der Segler schwenkte in Richtung Ufer.
    »Wir haben sie!«, rief sie. Hadrian richtete sich auf und sah ungefähr drei Kilometer voraus den hohen Mast, höchstens einen knappen Kilometer vom Ufer entfernt. »Fletcher bleibt sogar dichter an der Küste, als ich dachte. Das bedeutet, er riskiert sogar noch mehr Stellen mit dünnem Eis.« Sie veränderte die Segelstellung, um noch schneller zu werden. Dann runzelte sie wütend die Stirn. »Hinter dem Boot«, sagte sie. »Diese Schweine ziehen immer noch Björn hinter sich her. Was von ihm übrig ist. Wie eine Trophäe.«
    Gleich darauf fing Jori an, Hadrian und Dax zu erläutern, dass sie sich auf ihr Signal von Bord

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