Die Asche der Erde
das Blut riechen. Der Nebel hatte das Boot fast erreicht, als es plötzlich vier kleine Explosionen gab, in schneller Folge und als Fortsetzung des Musters, das Dax begonnen hatte. Fletcher, der mit den Startvorbereitungen beschäftigt war, schien gar nicht zu realisieren, dass nicht der Junge diese Pfeile abgeschossen hatte. Ein merkwürdiges Grinsen legte sich auf Dax’ Antlitz, der vier geisterhafte Schemen am Rand des Nebels entdeckte. Das vorderste Phantom stieß noch einen Krähenruf aus, und drei weitere erschienen. Dax hob den eigenen Bogen. Acht Pfeile waren auf die beschädigte Strebe gerichtet.
»Ihr Boot hat eine komische Eigenart, Kapitän«, rief Hadrian zu Fletcher hinüber. »Es kann nicht schwimmen.«
Die Wut auf Fletchers Gesicht wich deutlicher Verwirrung, als er die Männer am Rand des Nebels bemerkte. Sie feuerten sofort, nachdem Dax seinen Pfeil abgeschossen hatte. Die Strebe erbebte unter den Treffern der Schrotpatronen und brach weg. Der Rumpf kippte seitlich auf das geschwächte Eis, das ächzend entlang der Linie brach, die Dax angefangen hatte. Der größte der Neuankömmlinge kam auf Skiern an Hadrians Seite gefahren. Sebastian nickte ihm wortlos und grimmig zu.
Fletcher schrie seine Schakale an, sie sollten ihre Waffen holen, und stieg selbst gerade unter Deck, als die Eisplatte unter dem Boot sich einmal um die Längsachse drehte.
Der schwere Frachter sank wie ein Stein. Hadrian erhaschte noch einen kurzen Blick auf Fletcher, der zwischen Eis und Rumpf eingeklemmt war, und auf Kinzler, der vergeblich versuchte, sich von seinen schweren Fellen zu befreien. Einer der Seeleute verfing sich in einem Seil und schrie panisch auf. Dann ragte nur noch der Mast aus dem Wasser und verschwand in der schwarzen Tiefe.
K APITEL SECHZEHN
Die schwer beladenen Gestalten schälten sich eine nach der anderen aus dem Nebel. Die Kolonne hielt wie eine frostbedeckte Schlange auf die Kaianlagen zu. Ein Hund fing ängstlich an zu bellen. Eine Frau keuchte auf und lief ins Haus, als wolle sie sich verstecken. Ein Mädchen schrie und rannte weg, um die anderen vor den Geistern zu warnen, die aus dem Eis gestiegen waren.
»Gott sei gepriesen«, rief Pater William an Hadrians Seite, eilte zu einer Leiter und stieg auf das Eis hinunter.
Hadrian drehte sich zu Wilmot um. »Kann losgehen.« Der Farmer wandte sich der dunklen Lücke zwischen den Gebäuden zu und stieß einen Pfiff aus. Ein Pferdegespann zog einen schweren Lastkarren heran, auf dessen Ladefläche stämmige Arbeiter saßen.
Die Frau neben Hadrian schlug die Kapuze ihres Umhangs zurück, um die Kolonne der Fremden besser erkennen zu können. Die meisten gingen gebückt unter der Last eines schweren Sacks Getreide, andere zogen an Seilen Schlitten hinter sich her, auf denen sich Säcke stapelten. »Ich glaube«, sagte Emily zu Hadrian mit einem seltenen Anflug von Freude, »das ist das Schönste, was ich seit Jahren gesehen habe.« Buchanans Rationierungsmaßnahmen zeitigten bereits erste Auswirkungen, und die meisten der Stadtbewohner mussten abends hungrig zu Bett gehen.
Hadrian hatte sich gefragt, wie Nelly ihre erste Karawane wohl organisieren würde, aber sie hatte ihm versichert, es werde ihr schon etwas einfallen. Dann hatte sie ihn eilig nach Carthage geschickt, um den Empfang vorzubereiten. Nun entdeckte er ein vertrautes Gesicht und begriff. Sebastian trug den Sack Getreide auf einer Schulter und lud ihn eigenhändig auf den Wagen, gefolgt von seinem Bruder Nathaniel und einem halben Dutzend weiterer Erstgeborener, die danach sogleich den anderen zur Hand gingen. Hadrian trat an den Rand des Kais. Mindestens die Hälfte der Gruppe bestand aus Sebastians Stammesangehörigen.
Als Nelly schließlich auftauchte, schien sie kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Ihre Fingerspitzen, die aus den verschlissenen Handschuhen ragten, waren blau angelaufen. Emily führte sie schnell in die Fischfabrik, wo heißer Tee und Suppe warteten. Jori folgte ihr auf dem Fuß. Sie war mit einem Pferdewagen gekommen, um Nelly nach dem Essen zu Mettes Haus zu fahren. Hadrian sah besorgt in Richtung der Stadt. Alle Mitglieder der Kolonne, die nicht zu den Erstgeborenen zählten, waren eindeutig zu Tode erschöpft.
Aber sie waren noch längst nicht außer Gefahr. Erschrocken sah Hadrian einen Mann mit einem Bootshaken hinter einem Stapel Fässer hervortreten, dann zwei weitere mit Fischspeeren. Sebastian stellte sich neben ihn und nahm einen
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