Die Asche der Erde
die Schließplatte, und die Tür schloß sich langsam.
Ein im Wind schlappendes Leitseil führte in die Dunkelheit hinaus. Mischa erkannte das Material als eine äußerst dauerhafte Kunstfaser, aber der Sandsturm begann es bereits zu zerfetzen. Eine Hand am Seil, mit der anderen in der Luft rudernd, um sich gegen die Windböen zu behaupten, folgte sie Hikaru in die Wüste. Als sie zurückblickte, konnte sie nichts sehen als den wirbelnden Sand und das Leitseil, das sich wie ein Aal in ihrer Hand wand. Das unablässige Aufprallen der scharfen Sandkörner auf das Metall ihres Helms erzeugte tausendfaches Knistern.
Sie verstand jetzt, warum die Konturen des Landes um das Zentrum jedes Jahr so drastische Veränderungen erfuhren und warum die Karawanen niemals bis zum Herbst in der Nähe der Stadt blieben, sondern weiterzogen, ehe noch der Sommer zu Ende gegangen war.
»Alles in Ordnung?«
»Ja.«
Sie schienen eine weite Strecke zurückgelegt zu haben. Das Seil glitt schier endlos an Mischa vorüber, als sie sich daran weiterzog. Ihr Weg führte sie schräg gegen den Wind. Der Mann stapfte gleichmäßig vor ihr her, den Oberkörper gegen den Wind gebeugt, die Schultern eingezogen.
Dann machte Mischa etwas Schwarzes in der bräunlichen Dunkelheit aus, einen undeutlichen, stumpffarbenen Umriß. Der Wind ließ nach, die Sandwirbel wurden dünner, und sie standen auf der Leeseite des Schiffes. Mischa spähte die Wand hinauf, aber die verlor sich nach fünf oder sechs Metern in den Sandwolken und gab keinen Aufschluß über Größe und Form des Schiffes. Sie wußte jedoch von Bildern, wie es aussah, niedrig und breit und scharfkantig, wenn sie auch nie gedacht hätte, daß es eine derartige Größe haben würde. Dieses Schiff ruhte auf massiven, auswärts gespreizten Stelzen und einem zentralen Schaft, auf dessen Leeseite der Sand hoch aufgehäuft lag.
Hikaru öffnete den Einstieg, und sie betraten das Schiff mit einer Sandwolke, die in sich zusammensank, als die Tür sich selbsttätig hinter ihnen schloß.
Hikaru nahm seinen Helm ab und schnaufte erleichtert. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn und rannen von seinen Schläfen. Mischa befreite sich von ihrem Helm, und als die kühle Luft ihr Gesicht berührte, merkte sie, daß auch sie schwitzte.
Hikaru öffnete die andere Seite der Luftschleuse, und Mischa spähte an ihm vorbei ins Schiff. Sie sah nüchtern-kahle Wände aus grauem Plastikmaterial und war ein wenig enttäuscht, obgleich sie nicht hätte sagen können, was sie erwartet hatte. Ihre Schultern schmerzten, und ihre Hände zeigten Blasen vom Seil.
Sie folgte ihm ins Schiffsinnere. Mehrere Male legte sie die Hand gegen die Wände, konnte aber nur die glatte, kühle Plastikoberfläche fühlen: keine Wärme, keine Vibration, nichts.
Endlich machte Hikaru vor einer geschlossenen Tür halt. Er legte die Hand auf die Klinke und zögerte, während seine Miene sich verdüsterte. Mischa hätte es lieber gesehen, wenn er dieser Tür noch ein wenig länger ferngeblieben wäre, lange genug, daß sie das Schiff ansehen könnte, doch spürte sie, daß jede Andeutung von dieser Art pietätlos und egoistisch wirken würde. Mischa konnte beides sein, aber sie wollte Jan Hikaru nicht weh tun.
Er öffnete die Tür.
Kalte Luft drang aus dem Raum, beschwert mit dem unangenehmen Geruch des Todes. Mischa erschauerte.
Hikaru trat auf die Gestalt zu, die im Inneren des Raumes auf einer schmalen Bank lag. Sie war mit besticktem Atlasstoff bedeckt. Er strich mit leichter Hand über den glänzenden Stoff. »Sie berührte ihn gern, weil sie die Muster fühlen konnte«, sagte er. »Sie war blind.« Er schlug den Stoff zurück und blickte auf das gefurchte, entspannte Gesicht, noch im Tode stark und zerbrechlich zugleich. Der Ausdruck der Toten war gelöst und friedlich. Hikaru deckte den Stoff behutsam über das Gesicht, zog eine metallbeschichtete Isolierfolie hervor, faltete sie auseinander und schlug die verhüllte Tote darin ein.
»Wenn es hier eine Tragbahre gibt, könnte ich ...« »Laß gut sein«, sagte er. »Ich kann sie tragen.«
Ein langer Stollen führte vom Kreis zur Bestattungshöhle. Hikaru folgte Mischa hinein, bis sich das reflektierte Licht in Dunkelheit verlor und er ihre Umrisse nicht mehr ausmachen konnte.
»Gibt es kein Licht?«
»Tut mir leid.«
Er vermutete, daß das unterirdische Leben die Anpassungsfähigkeit ihrer Augen gefördert hatte, denn er sah noch immer nichts. Dazu kam zweifellos,
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