Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
kriegen, und wenn wir ein Abkommen unterzeichnen, in welchem wir versprechen, daß jeder ihm einen Shilling zahlt, läßt er uns abends am Abflußrohr hinter seinem Haus hochklettern, damit wir ins Fenster kucken und die nackten Leiber seiner Schwestern betrachten können, während sie ihre wöchentliche Waschung vornehmen. Ich unterschreibe sofort. Billy
sagt, ich habe meine eigene Schwester. Warum soll ich Geld ausgeben, um deine nackten Schwestern zu betrachten?
Quasimodo sagt, den nackten Leib der eigenen Schwester zu betrachten, ist die schlimmste Sünde von allen, und er weiß nicht, ob es auf der ganzen Welt auch nur einen einzigen Priester gibt, der einem das vergeben kann, daß Billy damit womöglich bis zum Bischof gehen muß, und jeder weiß, was einen da erwartet.
Billy unterschreibt.
Freitag abend klettern wir über die Mauer von Quasimodos Hinterhof. Es ist eine herrliche Nacht, der Junimond steht hoch über Limerick, und vom Shannon her spürt man eine warme Brise. Quasimodo will Billy Campbell gerade das Abflußrohr hinauflassen, als niemand anderer als Mikey-der-Anfall höchstpersönlich über die Mauer gekraxelt kommt, und Mikey-der-Anfall zischt Quasimodo zu, hier hast du einen Shilling, Quasimodo. Ich will die Röhre rauf. Mikey Molloy ist größer als wir alle und stark, weil er als Kohlenträger arbeitet. Er ist schwarz von der Kohle wie Onkel Pa Keating, und man kann nur das Weiße seiner Augen und den weißen Schaum auf seiner Unterlippe sehen, was bedeutet, daß er immer kurz vor einem Anfall steht.
Quasimodo sagt, warte, Mikey. Die sind zuerst dran. Warten am Arsch, sagt Mikey, und schon
ist er das Abflußrohr hoch. Billy beschwert sich, aber Quasimodo schüttelt den Kopf. Ich kann nichts machen. Er kommt jede Woche mit dem Shilling. Ich muß ihn rauflassen, sonst verhaut er mich und sagt es meiner Mutter, und als nächstes sperrt sie mich den ganzen Tag zu den Ratten in den Kohlenkasten. Mikey hält sich mit einer Hand am Rohr fest. Die andere Hand ist in seiner Hosentasche und wackelt und wackelt, und als das Abflußrohr als solches ebenfalls zu wakkeln und zu knarren beginnt, zischt Quasimodo, Molloy, am Rohr wird nicht gewichst. Er hüpft auf dem Hof herum und keckert. Sein BBC-Akzent ist weg, und er spricht reinstes Limerick. Jesusnochmal, Molloy, komm runter von dem Rohr, sonst, sonst sag ich’s meiner Mutter. Mikeys Hand wird noch schneller in der Hosentasche, so schnell, daß das Rohr einen Ruck macht, und dann geht es endgültig von der Wand ab, und Mikey hängt am Rohr wie ein Stabhochspringer und schwingt über den Hinterhof, und dann bricht das Rohr, und Mikey landet mit dem Rücken auf dem Hof, jault, ich bin tot. Ich bin zerschmettert. O Gott. Man kann den Schaum vor seinem Mund sehen, und Blut ist auch dabei, weil er sich auf die Zunge gebissen hat.
Die Hintertür wird aufgerissen, auf dem Hof wird es hell, Quasimodos Mutter kreischt, um Jesu und des Himmels willen! und die Schwestern
gackern aus dem Fenster im ersten Stock heraus. Billy versucht, über die Mauer zu entkommen, aber Quasimodos Mutter zerrt ihn wieder herunter. Sie sagt ihm, er soll zu O’Connor, dem Apotheker um die Ecke, laufen, damit der einen Krankenwagen oder einen Arzt oder irgendwas anderes für Mikey besorgt. Uns brüllt sie an, wir sollen machen, daß wir in die Küche kommen. Ihren Sohn befördert sie mit einem Tritt in die Diele. Er ist auf Händen und Knien, und sie zerrt ihn zum Kohlenkasten unter der Treppe und sperrt ihn ein. Da bleibst du, bis du wieder bei Sinnen bist.
Er weint und jammert sie in glockenreinem Limerick-Akzent an. Ach, Mama, Mama, laß mich raus. Hier sind die Ratten.
Ich will doch nur zur BBC, Mama. Ach lieber Jesus, ach liebe Mama, ach Jesus. Ich laß auch nie wieder einen die Röhre hoch. Ich schick dir auch immer Geld aus London, Mama.
Mama!
Draußen im Hinterhof liegt Mikey immer noch auf dem Rücken, er hat einen seiner Anfälle, strampelt und zuckt und schäumt aus dem Mund, bis er mit einer gebrochenen Schulter und einer zerfetzten Zunge ins Krankenhaus gebracht wird.
Unsere Mütter sind in Null Komma nix da. Mrs. Dooley sagt, ich bin in Unehre gefallen, jawohl,
in Unehre. Meine Töchter können sich nicht mal an einem Freitagabend waschen, ohne daß die ganze Welt ins Fenster glotzt, und diese Buben da sind im Stande der Sünde und sollten ganz schnell zum Priester gebracht werden, damit sie beichten, bevor sie morgen Firmung haben.
Aber Mam sagt, ich weiß
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