Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
die Schlacht vorbereiten. Einmal ist er mit mir im Dunkeln hergekommen, so daß wir unten normannische und irische Stimmen durch die Jahrhunderte hindurch hören konnten, und ich habe sie gehört. Ich habe sie gehört. Manchmal bin ich allein da oben auf den Höhen von Carrigogunnell und höre Stimmen von normannischen Mädchen aus alten Zeiten, die lachen und auf französisch singen, und als ich sie mit dem Geiste sehe, werde ich versucht, und ich klettere ganz oben auf die Burg, wo früher ein Turm war, und dort, wo ganz Irland mich sehen kann, spiele ich an mir herum und spritze über ganz Carrigogunnell und noch weiter über die Felder. Das ist eine Sünde, die ich nie einem Priester erzählen könnte. Große Höhen erklettern und vor ganz Irland an sich herumspielen ist bestimmt schlimmer, als es privat mit sich selbst oder mit einem anderen oder gar nicht mit einem Menschenwesen zu tun. Irgendwo da unten auf den Feldern oder an den Ufern des Shannon hat vielleicht ein Junge oder ein Milchmädchen hochgeblickt und mich in meiner Sünde gesehen, und wenn sie mich gesehen haben, bin ich verdammt, denn die Priester sagen immer, daß jeder, der ein Kind der Sünde aussetzt, einen Mühlstein um den Hals gebunden kriegt und ins Meer geworfen wird.
Trotzdem bringt der Gedanke, daß mich vielleicht jemand beobachtet, wieder die Aufregung mit sich. Ich möchte nicht, daß ein kleiner Junge mich beobachtet. Nein, nein, das würde bestimmt zum Mühlstein führen, aber wenn es ein Milchmädchen wäre, das hier heraufglotzt, würde sie bestimmt aufgeregt werden und Hand an sich legen, obwohl ich nicht weiß, ob Mädchen Hand an sich legen können, wenn sie nichts haben, woran die Hand sich festhalten kann. Keine Ausstattung, wie Mikey Molloy zu sagen pflegte.
Ich wünschte, dieser alte taube Dominikanerpriester würde zurückkommen, damit ich ihm von meinen Schwierigkeiten mit der Aufregung berichten kann, aber jetzt ist er tot, und ich muß mit einem Priester rechnen, der sich über den Mühlstein und die Verdammnis ausläßt.
Verdammnis. Das ist das Lieblingswort jedes Priesters in Limerick.
Ich gehe zurück durch die O’Connell Avenue und Ballinacurra, wo die Leute schon früh Brot und Milch an die Tür geliefert bekommen, und es ist bestimmt nichts dabei, wenn ich einen Laib oder eine Flasche ausborge, und zwar mit dem festen Vorsatz, alles zurückzugeben, sobald ich einen Job beim Postamt habe. Ich stehle nicht, ich borge nur, und das ist keine Todsünde. Außerdem habe ich heute morgen ganz oben auf einer Burg gestanden und eine viel schlimmere Sünde begangen,
als Brot und Milch zu stehlen, und wenn man eine Sünde begeht, kann man genausogut noch ein paar mehr begehen, weil einen in der Hölle sowieso dieselbe Strafe erwartet. Eine Sünde – Ewigkeit. Ein Dutzend Sünden – Ewigkeit. Dann hängt man eben für ein Schaf und nicht für ein Lamm, wie meine Mutter sagen würde.
Ich trinke die Milch und lasse die leere Flasche da, damit der Milchmann nicht die Schuld kriegt, weil er keine geliefert hat. Ich mag Milchmänner, weil mir einer mal zwei kaputte Eier geschenkt hat, die ich roh mit kleinen Stückchen Schale und allem runtergeschluckt habe. Er sagte, ich werde groß und stark, auch wenn ich jeden Tag nichts anderes kriege als zwei rohe Eier in einer Pint Porter. Alles, was man braucht, ist im Ei, und alles, was man möchte, ist in der Pint.
Manche Häuser bekommen besseres Brot als andere. Es kostet mehr, und das nehme ich. Die reichen Leute tun mir leid, die morgens aufstehen und an die Tür gehen und merken, daß ihr Brot nicht da ist, aber deshalb kann ich nicht verhungern. Wenn ich verhungere, habe ich nicht die Kraft für meinen Job als Telegrammjunge bei der Post, und das bedeutet, daß ich nicht das Geld haben werde, das Brot und die Milch zu ersetzen, und daß ich nicht sparen kann, um nach Amerika zu gehen, und wenn ich nicht nach Amerika gehen kann, kann ich auch gleich in den Shannon
springen. Es dauert doch nur noch ein paar Wochen, bis ich meinen ersten Lohn beim Postamt kriege, und bestimmt werden diese Reichen bis dahin nicht vor Hunger zusammenbrechen. Sie können jederzeit das Dienstmädchen schikken, daß es mehr holt. Das ist der Unterschied zwischen den Armen und den Reichen. Die Armen können niemanden schicken, der mehr holt, weil kein Geld da ist, für das mehr geholt werden könnte, und wenn Geld da wäre, hätten sie kein Dienstmädchen, das sie schicken können. Es sind die
Weitere Kostenlose Bücher