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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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sein?
    Ich mag den hl. Moling, der ein irischer Bischof war. Er lebte nicht in einem Palast wie der Bischof von Limerick. Er wohnte auf einem Baum, und wenn andere ihn zum Essen besuchen kamen, saßen sie auf Ästen herum wie Vögel und amüsierten sich prächtig mit ihrem Wasser und ihrem trocken Brot. Eines Tages ging er mal spazieren, und ein Aussätziger sagte, hoi, Sankt Moling, wohin gehst du? Ich gehe in die Messe, sagt Sankt Moling. Tja, ich würde auch gern in die Messe, heb mich doch auf deinen Rücken und trage mich. Das tat der hl. Moling, aber kaum hatte er den Aussätzigen auf dem Buckel, als der sich auch schon beschwerte. Dein härenes Hemd, sagte er, fühlt sich an meinen offenen Wunden so kratzig an, zieh es doch aus. Der hl. Moling zog das Hemd aus, und es ging wieder weiter. Dann sagt der Aussätzige, ich muß mir mal die
Nase putzen. Der hl. Moling sagt, ich habe keinerlei Taschentuch, nimm die Hand. Der Aussätzige sagt, ich kann mich nicht an dir festhalten und mir gleichzeitig die Nase putzen. Na schön, sagt der hl. Moling, du kannst dich in meine Hand schneuzen. Das wird nicht gehen, sagt der Aussätzige, ich habe ja wegen meines Aussatzes kaum noch eine Hand übrig und kann mich nicht gleichzeitig an dir festhalten und mich in deine Hand schneuzen. Wenn du ein anständiger Heiliger wärst, würdest du den Kopf verrenken und mir den Kram aus dem Kopf saugen. Sankt Moling hatte keine Lust, dem Aussätzigen den Rotz herauszusaugen, aber er hat es gemacht und es dargebracht und Gott für dieses Privileg gepriesen.
    Ich habe verstanden, warum mein Vater den üblen Kram aus Michaels Kopf herausgesaugt hat, als er ein Baby war und es ihm so verzweifelt schlecht ging, aber ich verstehe nicht, warum Gott wollte, daß der hl. Moling herumläuft und Aussätzigen den Rotz aus dem Kopf saugt. Ich verstehe Gott überhaupt nicht, und selbst wenn ich gern ein Heiliger wäre, so daß alle mich anbeten müßten, würde ich nie einem Aussätzigen den Rotz heraussaugen. Ich wäre gern ein Heiliger, aber wenn man so was machen muß, bleibe ich, glaube ich, lieber, wie ich bin.
    Trotzdem würde ich gern mein Leben lang
in dieser Bücherei sitzen und alles über Jungfrauen und jungfräuliche Märtyrerinnen nachlesen, bis ich wegen eines Buches, das jemand auf dem Tisch liegengelassen hat, Ärger mit Miss O’Riordan kriege. Der Autor ist Lin Yu T’ang. Jeder kann sehen, daß das ein chinesischer Name ist, und ich bin neugierig zu erfahren, worüber die Chinesen so reden. Es ist ein Buch mit Aufsätzen über Liebe und den Körper, und eins seiner Wörter scheucht mich zum Lexikon. Turgeszieren. Er schreibt, das männliche Kopulationsorgan turgesziert und wird in die empfangsbereite weibliche Öffnung eingeführt.
    Turgesziert. Das Lexikon sagt anschwellen, und genau das bin ich, angeschwollen, wie ich da stehe und das Lexikon betrachte, denn jetzt weiß ich, wovon Mikey Molloy die ganze Zeit geredet hat, daß wir auch nicht anders sind als die Hunde, die auf der Straße ineinander steckenbleiben und nicht mehr auseinander können, und es ist ein Schock, wenn man an all die Mütter und Väter denkt, die dergleichen tun.
    Mein Vater hat mich jahrelang mit dem Engel auf der siebten Stufe angelogen.
    Miss O’Riordan möchte wissen, welches Wort ich suche. Sie sieht immer besorgt aus, wenn ich beim Lexikon bin, also sage ich ihr, daß ich kanonisieren oder beatifizieren oder sonst irgendein religiöses Wort nachschlage.

    Und was ist dies? Dies ist nicht Das Leben der Heiligen.
    Sie hebt Lin Yu T’ang auf und beginnt, die Seite zu lesen, wo ich das Buch aufgeschlagen aufs Gesicht gelegt hatte.
    Heilige Muttergottes. Hast du dies gelesen? Ich habe dies in deiner Hand gesehen.
    Tja, ich, ich wollte nur sehen, ob die Chinesen, ob die Chinesen, äh, irgendwelche Heiligen hatten.
    Ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen. Dies ist schandbar. Schmutz. Schund. Kein Wunder, daß die Chinesen so sind, wie sie sind. Aber was kann man schon von Schlitzaugen und gelber Haut erwarten, und du, wenn ich dich jetzt so betrachte, hast auch ein bißchen vom geschlitzten Auge abgekriegt. Auf der Stelle verläßt du diese Bücherei.
    Ich lese aber doch Das Leben der Heiligen.
    Hinaus, oder ich rufe die Chefbibliothekarin, und die ruft die gárdaí. Hinaus. Du solltest zum Priester laufen und deine Sünden beichten. Hinaus, und bevor du gehst, händigst du mir die Leserausweise deiner armen Mutter und von Mr. Griffin aus. Ich habe nicht

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