Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Jahrhunderte untrennbar verbunden. Die Oberschicht unserer Zeit ist nicht mehr staatstragend.
Im Gegenteil. Die Verachtung für den Staat, seine Institutionen und seine Akteure ist in der Oberklasse der Gesellschaft besonders weit verbreitet. »Für diesen Staat will sich niemand von uns engagieren«, sagt der Herr Baron. Er will unbedingt anonym bleiben. »In unseren Kreisen redet man eigentlich nicht mit der Presse.« Die Wurzeln seines Adelsgeschlechtes reichen zurück bis ins zwölfte Jahrhundert. Der Herr Baron bewohnt ein stattliches Eigenheim: ein Schloss in Süddeutschland mit etwa 1200 Quadratmetern Wohnfläche. Wenn man seine Familie durch die Geschichte verfolgt, weiß man, wo jeweils oben war: Bis ins 17. Jahrhundert war die Theologie eine beliebte Profession. Im 19. und 20. Jahrhundert demonstrierten seine Vorfahren ihre gesellschaftliche Stellung als Minister, Generäle oder Abgeordnete. Auch unser Baron hat sich zeitweise in der Politik versucht, eroberte sogar ein Landtagsmandat. Doch die Politik, der Wettbewerb um Mehrheiten, blieb ihm fremd. »In der Politik muss man sich zeigen, sich beweisen, in die Verantwortung gehen. Das wollen viele von uns nicht mehr«, sagt der Baron. Inzwischen ist auch er ins Unternehmerlager gewechselt. Ganz der Familientradition verpflichtet. Immer oben.
Zu allen Zeiten blieb die Oberschicht am liebsten unter sich, doch so monokulturell geprägt wie heute war sie seit Jahrhunderten nicht mehr. Bevor sich das eine Prozent ausschließlich aus Unternehmern und Selbstständigen zusammensetzte, bedeutete »unter sich« zu bleiben stets, Kontakt zu pflegen zu den Spitzen aus allen Bereichen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Professoren, Staatsanwälte, Schuldirektoren, Richter, Offiziere, Bürgermeister, höhere Polizeibeamte, Minister und mitunter auch Pfarrer wohnten in derselben Straße, saßen bei Einladungen mit am Tisch oder waren selbst Gastgeber. Wenigstens mittelbar erfuhren so auch die reichen Unternehmer, worüber an den Universitäten nachgedacht wurde, welche Probleme in die Gerichte schwappten und wofür der Staat seine Steuergelder ausgab. Die Funktionselite des Staates leistete bei den Reichen etwas, das man heute »Lobbyarbeit« nennt.
Seitdem die Reichen sich nur noch aus der Wirtschaftselite zusammensetzen, gilt eine Kontaktsperre. Der Austausch in der Klasse der Besitzenden beschränkt sich auf die kleine Erfahrungswelt von Unternehmern, Bankern und einer handvoll Topmanagern. Die heutige Oberschicht hat sich rundum isoliert und in eine Parallelwelt geflüchtet. Von dem, was in der realen Welt passiert, bekommt sie nicht einmal mehr mittelbar etwas mit. Das erklärt viel. Armut an Erfahrungen mit der Realität in der Mehrheitsgesellschaft ist ein prägendes Merkmal der Reichen.
Herbert Henzler lebte viele Jahre in der geistigen Isolation auf der Insel der Wirtschaftselite. Als Deutschlandchef der Unternehmensberatung McKinsey war er ein Hohepriester der Religion vom schlanken Staat. Steuern waren Teufelszeug. »Ich war immer der Überzeugung: Der Markt macht es besser als der Staat«, erinnert sich Henzler. Heute ist er pensioniert, aber nicht im Ruhestand. Die Credit Suisse, die ihn als »Senior Advisor« führt, stellt ihm ein repräsentatives Büro in ihrer Münchner Dependance zur Verfügung. Im Freizeithemd sitzt Henzler in der Besucherecke seines Büros und erklärt mir, was er über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft weiß.
Mit den Vermögen der Deutschen, behauptet Henzler, habe er sich in seiner Zeit bei McKinsey intensiv beschäftigt. Pro Kopf, so meint er sich zu erinnern, betrage es rund 180000 Euro. Knapp vorbeigetippt. Das arithmetische Mittel des deutschen Pro-Kopf-Vermögens liegt bei nur 88000 Euro. 31 Doch wegen der ungleichen Vermögensverteilung besitzen 90 Prozent der Deutschen erheblich weniger als das arithmetische Mittel. Der Durchschnitt ist eine irrelevante Größe. Er lässt keine Rückschlüsse auf den Lebensstandard in der Gesellschaft zu.
Über viele Jahre war Herbert Henzler einer der einflussreichsten Berater der deutschen Wirtschaft. Er leuchtete den Steuerleuten in den Unternehmen den Weg. Als ich ihn mit den Zahlen der Vermögensforscher konfrontiere, stutzt der einstige Leitwolf der Wirtschaftselite und unterbricht seinen Redefluss für einen Moment. Nach all den Jahren wird ihm plötzlich bewusst: Das Durchschnittsvermögen ist nur halb so hoch, wie er immer vermutet hatte. Und die übergroße
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