Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Mehrheit besitzt nicht einmal annähernd so viel. Die Grundlage seiner ökonomischen Einschätzung der Gesellschaft war: ein Irrtum.
Dennoch ist Herbert Henzler eine löbliche Ausnahme. Er ist einer der wenigen, die aus der Wirtschaftselite herabgestiegen sind, um sich mit der Realität zu konfrontieren. Henzler ist sogar bereit, sich für den Staat zu engagieren. Als er pensioniert wurde, berief ihn Edmund Stoiber, der damalige Ministerpräsident von Bayern, zum Vorsitzenden des Wissenschaftlich-Technischen Beirates der Bayerischen Staatsregierung. Der Staat wollte etwas von dem Manager lernen. Es kam andersrum. »Meine Tätigkeit für die Staatsregierung hat mich in manchen Punkten umdenken lassen«, gesteht Henzler.
Der Beirat befasst sich mit Aufgaben des Staates und mit dessen Nöten, diese zu finanzieren. Zu früheren Zeiten hätte jemand wie Henzler dazu keinem Beirat angehören müssen. Über all diese Fragen haben Angehörige der Wirtschaftselite und hohe Beamte aus der Funktionselite des Staates bei ihren gesellschaftlichen Treffen ganz selbstverständlich und auf Augenhöhe debattiert. Henzler jedoch musste auf die Erkenntnis bis zur Rente warten: »Die vielen Investitionen in die Infrastruktur, die in den nächsten Jahren anstehen, die lassen sich nur mit Steuergeldern realisieren.« Plötzlich wurde dem Exmanager auch klar, wozu Steuern gut sind. »Darum bin ich heute sogar für Steuererhöhungen.«
Die Flucht in die Parallelgesellschaft
Die Isolation der Oberschicht ist eines der zentralen Themen von Thomas Perry. 32 Im Auftrag der HypoVereinsbank ( HVB ) analysiert der Marktforscher systematisch den Millionärsmarkt. Dazu hat ihm die HVB einen exklusiven Kontakt zu einigen Großanlegern ermöglicht. Nur so konnte Perry seit 2007 zahlreiche Tiefeninterviews mit richtig Reichen führen.
Thomas Perry arbeitete mehrere Jahre in dem renommierten Heidelberger Sozialforschungsinstitut Sinus Sociovision. Inzwischen hat er mit einigen Sinus-Kollegen ein eigenes Institut gegründet, das team q. Das Kapital des neuen Unternehmens ist eine Namensliste. Darauf stehen die Kontaktdaten von ein paar Dutzend Vermögenden, die Perry vertrauen und bereit sind, mit ihm offen, aber anonym über ihre Einstellungen zu sprechen. Der Zugang zu Reichen ist in Deutschland so ungewöhnlich und damit wertvoll, dass sich allein darauf eine ganze Firma gründen lässt.
Inzwischen hat Thomas Perry aus seinen Interviews bereits zwei Studien für die HVB destilliert, eine 2007, die zweite 2010. 33 »In dieser Zeit hat sich etwas Grundlegendes verändert«, berichtet Perry. »Das Gefühl einer existenziellen Bedrohung macht sich breit.« Schuld daran ist die Finanzkrise. Viele Jahre lang hatten die Künste der Wealth Manager das Vermögen der Premiumkundschaft enorm wachsen lassen. Zweistellige Renditen, ohne dafür selbst arbeiten zu müssen, daran hatte sich so mancher schon gewöhnt. »Viele erfahren nun zum ersten Mal, dass die Sicherheit ihres Reichtums nicht selbstverständlich ist«, sagt Perry. »Eine irritierende Welt drängt sich mit großer Macht auch in die materiell gesicherten Existenzen der Vermögenden. Auf diese Unsicherheit reagieren viele mit stärkerer Abschottung, mit Rückzug.«
Perry nennt diese Angstreaktion »Grounding«: Eine noch stärkere Konzentration auf den »kontrollierbaren Nahbereich«, auf die private, heimische, überschaubare Welt der Familie und der eigenen sozialen Schicht. Der einzige Bezugspunkt der vermögenden Kaste sind sie selbst. Die Blickrichtung geht nach innen. Die Außenwelt, die Gesellschaft, wird immer stärker als Bedrohung wahrgenommen.
Den wachsenden Trend zur Entmischung, zum Auseinanderdriften der sozialen Schichten, registrieren Sozialwissenschaftler schon seit einigen Jahren, insbesondere bei der Oberschicht. »Die typischen Eigenschaften der Oberschicht haben sich verstärkt. Die soziale Distanz wird immer wichtiger«, sagt der Soziologe Neckel. Die Millionäre flüchten in ihre Parallelwelt und meiden den Kontakt zu Nichtreichen.
Die Lebenswelt der Oberschicht ist reich an Beispielen dafür: Sie werden immer seltener Mitglied im Verein. Sie bevorzugen den Club. Nur ungern nutzen sie öffentliche Verkehrsmittel. Dazu zählt auch die Business-Class der Linienflugzeuge, in denen man nur wieder mit diesen Besserverdienern zusammengepfercht wird. Darum hat sich seit 2004 die Zahl der Flüge mit Privatjets in Deutschland verdoppelt. Auch bei der Lufthansa kann man
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