Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Prozents drei Mal so groß wie für gleich qualifizierte Promovierte aus der Mittelschicht.
Das Lernen von Wissen, von Fakten und fachlichen Fähigkeiten ist längst kein Weg nach ganz oben mehr. Der Aufzug der sozialen Mobilität hält nicht im Penthouse. Er verkehrt nur auf den Etagen der Mittelschicht. Dennoch ist Lernen für die 99 Prozent wichtiger als je zuvor. Nicht um aufzusteigen, sondern als einzige Methode, den Abstieg zu vermeiden. Bildung dient heute vor allem der Statussicherung.
Die Mittelschicht, die brav auf dem Gymnasium und an der deutschen Uni paukt, überschätzt die Chancen der Bildung gewaltig. Die Oberschicht hingegen weiß: Für die Aufnahme in den Club braucht man kein gutes Zeugnis. »Uns geht es nicht um die Noten. Für uns ist der Auftritt, das Selbstbewusstsein, der ganze Habitus entscheidend«, sagt die Headhunterin.
»Chief Operating Officer Germany« steht auf ihrer Visitenkarte. Sie ist auf der Suche nach Kandidaten für Führungspositionen bei einer Investmentbank. Bei der European Business School ( EBS) hofft sie fündig zu werden. Die EBS ist eine der wenigen privaten Hochschulen in Deutschland. Bei nationalen und internationalen Hochschulrankings belegt sie regelmäßig Spitzenplätze unter den Business-Schulen. Sie gilt als eine Kaderschmiede der Finanzwirtschaft. Die Studiengebühren betragen knapp 6000 Euro pro Semester. Die EBS ist nicht Oxford oder Harvard, doch elitärer kann man in Deutschland nicht studieren.
Heimat der EBS ist das Schloss Reichartshausen am Ufer des Rheins, umgeben von den Weinbergen des Rheingaus. Auf der Schlosswiese ist ein Zelt aufgebaut für die »Recruiting Fair«, eine Jobmesse. Bewerber sind hier nicht die Absolventen, sondern die Unternehmen, die den Nachwuchs mit steilen Karrieren und Einstiegsgehältern in schwindelerregender Höhe locken: UBS , HSBC , Citi Group, Allianz oder die Royal Bank of Scotland. Wer in der Finanzwelt einen Namen hat, versucht an die Kandidaten aus der EBS zu kommen. In Wirtschaftskreisen gelten sie durchweg als »high potentials«.
»Ehrlich, ich schau mir die Zeugnisse nie an«, sagt an seinem Messestand der Vertreter der Schweizer Bank UBS . »Ich bin doch selber EBS er, also Absolvent. Und ich stelle auch hauptsächlich EBSer ein. Die wissen gleich am ersten Tag, wie man sich beim Kunden zu benehmen hat.« Der UBS -Mann beobachtet die Konkurrenten an den anderen Ständen genau. »Die meisten kenne ich. Die anderen Investmentbanken schicken auch ihre Ehemaligen, um an die Jungen ranzukommen.« Ein Junge mit letzten Brüchen in der erwachsen werdenden Stimme, spricht den UBS -Vertreter an: »Verzeihen Sie, darf ich Ihnen meinen Herrn Vater vorstellen?«
Die Jobmesse ist Teil des 22. Symposiums der EBS . Organisiert wird es stets von den Studenten selbst. Drei Tage Nonstop-Programm auf mehreren Bühnen gleichzeitig. Wenn die Studenten der EBS rufen, kommt die Championsleague der deutschen Wirtschaft. Der CEO -Andrang ist so groß, dass die Vorstandsvorsitzenden von Hugo Boss (Claus-Dietrich Lahrs), von ABB (Peter Terwiesch) oder von ERGO (Torsten Oletzky) ihre Vorträge auf Nebenbühnen halten müssen, während im Forum die wirklich Wichtigen sprechen.
Zum Beispiel Julian Kappus. Er ist Student der EBS , »Chairman« des Symposiums, 19 Jahre alt und hält die Begrüßungsrede vor einigen Hundert erlesenen Gästen. Als ob er nie etwas anderes gemacht hätte. Seine Stimme ist fest. Zwischen den Sätzen schaut er seine Zuhörer an. Das Publikum muss die Begeisterung nicht spielen. In seinem dunklen Anzug bewegt er sich so selbstverständlich wie Gleichaltrige im Kapuzenpulli.
Bereits in der ersten Woche an der EBS , wenn sie einander noch fast gar nicht kennen, wählen die Erstsemester aus ihrer Mitte den »Chairman« des Symposiums. Zu diesem Zeitpunkt war Kappus gerade erst 18 Jahre geworden. Dennoch war klar, dass er das Rennen machen würde. Auftritt und Selbstsicherheit ist auch unter den Kommilitonen die entscheidende Disziplin.
Inzwischen ist er 19 Jahre alt und bereits im dritten Semester. »Ich bin in England zur Schule gegangen. Da macht man früher seinen Abschluss.« Kappus war auf der Oakham-School, gegründet 1584. Schulmotto: »Et quasi cursores vitai lampada tradunt«: Und wie die Läufer geben sie die Fackel des Lebens weiter.
In den ersten Wochen in Oakham erlebte Kappus so etwas wie einen Kulturschock. »Außerhalb der Schule gab es einen Kiosk. Wir deutschen Schüler haben uns da ganz normal
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