Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
und ponygroß. In seiner Heimat Argentinien dient das Tier zur Jagd auf Pumas. Allgemein wird der Hund als »sehr durchsetzungsstark« beschrieben, einer, der einen ausgesprochen charakterfesten Halter benötigt. Sonst wird er gefährlich.
Wenn man morgens durch menschenleere Straßen zur Arbeit geht, während die Nachbarn noch schlafen. Wenn man aus Furcht immer wieder die Straßenseite wechseln muss. Wenn die Klingelschilder regelmäßig vollgeschmiert werden. Wenn es nach Müll stinkt. Wenn der Supermarkt um die Ecke zwei Regale Tiernahrung und zwei Regale Alkoholika anbietet, die Frischeabteilung aber aus einem Eimer fauligem Wasser besteht, in dem ein paar glitschige Bunde Petersilie dümpeln. Wenn das, was Sozialforscher »Kultur im öffentlichen Raum« nennen, von der Lebensweise der Unterschicht dominiert wird, dann flieht die Mittelschicht.
Heinz Buschkowsky ist der Bürgermeister von Neukölln. Der SPD -Mann spricht ohne Filter, ohne Rücksicht auf politische Korrektheit. »Die Bildungshungrigen, die Aufstiegswilligen, die was wollen und was können und deren Familien intakt sind, die hauen ab, die verlassen solche Underdog-Quartiere. Das ist eine Abstimmung mit dem Möbelwagen.«
Die Stadtentwicklungsforscher registrieren in allen Ballungszentren eine regelrechte Massenflucht aus den Problemvierteln. 39 In Städten wie Berlin zieht Jahr für Jahr jeder zehnte Haushalt um. Motor der Entwicklung ist nicht allein die »Kultur im öffentlichen Raum«, sondern stärker noch die Sorge um die Kinder. Spätestens beim Nachwuchs hört jede Toleranz der Mittelschicht auf. Die Menschen, die am häufigsten umziehen, sind darum Kinder unter sechs Jahren. Bevor das Kind in die Schule kommt – nichts wie weg an den Stadtrand. Mit den Kindern von »denen« soll mein Kind nicht aufwachsen. »Die Mitte grenzt sich massiv nach unten ab. Da gibt es inzwischen fast eine Kontaktsperre«, sagt der Soziologe Carsten Wippermann. In der Mittelschicht herrscht »Statuspanik.«
In der öffentlichen Debatte wird stets »Armut«, die sozialpolitische Universalerklärung, als Spaltpilz zwischen der Mittel- und der Unterschicht ausgemacht. Doch die »Armen« sind nicht diejenigen, die umziehen, weil ihre Wohnung oder ihr Stadtviertel zu teuer geworden ist. Die Unterschicht wird von der Mittelschicht verlassen. Annette Weber-Vinkeloe ist nicht umgezogen, weil ihre Nachbarn wenig Geld hatten. Anstand ist unabhängig vom Kontostand. Viele Menschen mit schmalem Portemonnaie haben keine Probleme mit der Müllentsorgung, verzichten auf das Zusammenleben mit großen Tieren in kleinen Wohnungen und erziehen ihre Kinder verantwortungsvoll. Frau Weber-Vinkeloe hat aufgegeben, weil sie den Lebensstil ihrer Nachbarn nicht mehr ertragen konnte. »Ich glaube, dass sich die Gesellschaft stärker nach kulturellen Kriterien gruppiert als nach ökonomischen«, erklärte mir der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann in einem Interview. 40
Wäre das Einkommen tatsächlich entscheidend für die Spaltung der Gesellschaft, müssten der konjunkturelle Aufschwung und die dramatische Erholung des Arbeitsmarktes eine Entspannung in den Problemvierteln bewirken. Doch das Gegenteil ist der Fall: »So absurd es sich anhört: Für viele Menschen in den benachteiligten Stadtteilen ist der Aufschwung eine einzige Katastrophe«, sagt der Sozialwissenschaftler Wolfgang Hinte, Vorstand des Instituts für Stadtteilbezogene Soziale Arbeit und Beratung ( ISSAB ) in Essen.
In den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit wurden auch die fähigen Arbeitssuchenden von jeweils besser Qualifizierten verdrängt. Doch im Boom der letzten Jahre fanden viele der nicht ganz perfekten Arbeitslosen wieder eine Stelle, wenn sie sich engagierten. »Sowie die einen Job haben, ziehen die dann um«, sagt Hinte. Diejenigen, die gehen, sind diejenigen, die am dringendsten gebraucht werden: die letzten Elternsprecher, Fußballtrainer, Streitschlichter, Kümmerer, Vorbilder, die letzten Stützen einer ohnehin schon wackeligen Sozialstruktur. Die Zurückgebliebenen bleiben unter sich und verstärken sich gegenseitig in ihren Verhaltensweisen. »In den letzten Jahren ist die Unterschicht noch unterschichtiger geworden«, sagt Wolfgang Hinte.
Du bist, wie du liebst
Er war verlegen. Er wurde sogar ein wenig rot. »Bernd, Bernd. Trägst du auch Tangas?«, rief ein neunjähriges Mädchen quer durch den Speisesaal. »Der neue Freund meiner Mutter hat immer so superscharfe Dinger an.«
Bernd Siggelkow
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