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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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entfernt vom Wiking-Vereinsheim liegt der Neuköllner Jahnpark. Im Zentrum steht ein Denkmal für den Turnvater Jahn, den Begründer der Arbeitersportbewegung. Heute ist der Park fest in
der Hand afrikanischer Dealer. Und die Unterschicht treibt kaum noch
Sport. Rund die Hälfte aller Jugendlichen in Deutschland trainiert regelmäßig. Gleichaltrige aus der Unterschicht tun das nur zu einem Drittel. 35 Und in der deutschen Olympiamannschaft kämpfen fast ausschließlich Studenten oder Sportler mit Abitur um die Medaillen.
    Bei Mittelschichtseltern stehen Sport sowie Musik besonders hoch im Kurs. Die Kinder sollen etwas lernen, wozu man einen langen Atem braucht. Doch genau wie der Sport ist auch das Musizieren nicht mehr Teil der Unterschichtskultur. Wer über lange Jahre ein Instrument gelernt hat. Wer im Zusammenspiel mit anderen den Rhythmus einhält, die Töne trifft und sich in der Lautstärke anpasst. Wer sich regelmäßig mit anderen Bandmitgliedern in einer Garage oder einem Keller zum Proben trifft. Wer die Anweisungen des Dirigenten umsetzen kann. Wer in einem Orchester oder einer Band spielen kann, gehört nicht zur Unterschicht.
    »Musik machen fast ausschließlich Kinder aus intakten, bürgerlichen Familien«, sagt Volkmar Bussewitz. Er ist der Leiter der Musikschule in Neukölln. Dort können Kinder auch ein Instrument lernen, wenn die Eltern es sich nicht leisten können. »Trotzdem kommen wir an die bildungsabgewandten Familien nicht ran«, sagt Bussewitz. In Neukölln, berichtet er, gibt es ganze Schulen, an denen kein einziges Kind ein Instrument lernt.
    Sport treiben oder musizieren ist nicht nur gesund, es ist auch eine Form der Teilhabe an der Gesellschaft. Doch Menschen aus der Unterschicht sind immer seltener Mitglieder in einem Verein, einer Gewerkschaft oder einer Partei. Engagement, für sich oder für andere, ist generell kein charakteristisches Merkmal der Unterschichtskultur, unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten. Arbeitslose haben wenig Geld, doch umso mehr Zeit. Erwerbstätige engagieren sich 40 Prozent ehrenamtlich, Arbeitslose nur 27 Prozent. 36
    Auch in der Kirche zählt die Unterschicht nur selten zu den aktiven Gemeindemitgliedern. Darauf weist Katrin Göring-Eckardt, Präses der Synode der Evangelischen Kirche selbstkritisch hin: »Wir müssen uns aber auch kritisch fragen, ob wir Arme nicht eher als Objekt unserer Fürsorge betrachten, als in ihnen ein Subjekt und potenziell aktives Mitglied der Gemeinde zu sehen. … Arme sollten nicht nur in unseren Suppenküchen essen, sondern sie sollen im Kirchenchor singen und im Gemeinderat mitgestalten.« 37
    Dieselbe Apathie zeigt sich beim politischen Engagement. Die typischen Wohnbezirke der Unterschicht vermelden bei Wahlen stets die niedrigste Beteiligung. Angehörige aus der Mittel- und Oberschicht sind doppelt so oft Mitglied einer politischen Partei und setzen sich fünf Mal häufiger bei Demonstrationen für ihre Belange ein. 38 Der Demokratie geht die Unterschicht verloren.
    Du bist, wie du wohnst
    Annette Weber-Vinkeloe hielt es länger in Neukölln aus als die meisten. »Wir hatten eine wirklich schöne, große, helle Altbauwohnung.« Die Familie investierte Enthusiasmus und Engagement in das nachbarschaftliche Leben. »Aber nach und nach sind alle weggezogen, die so sind wie wir.« Der Supermarkt setzte einen Wachmann neben die Kasse. Die Nachbarn lärmten im Suff. Irgendwann musste der Buchladen aufgeben. Letzter Anlass war eine Attacke gegen ihren Sohn. »Es war das dritte Mal. Ich wollte nur noch weg.«
    Ich schaute mir die Straße an, in der Annette Weber-Vinkeloe nicht mehr leben wollte. Eine ruhige Seitenstraße mit hohen Bäumen, auf den Parkbänken saßen Erwachsene und tranken Bier aus Plastikflaschen. Anwohner hatten ihre kaputten Sofas und Kühlschränke auf dem Bürgersteig entsorgt. Daneben wuchsen die blauen Berge aus Müllsäcken. Resigniert überließen die Hauseigentümer das Erdgeschoss der gesamten Straße den Graffitisprühern. Die Mauersockel der Häuser waren hüfthoch mit Urin vollgesogen. Aus Ekelerfahrung liefen die Fußgänger in gebückter Haltung, um die Hundehaufen rechtzeitig zu erkennen.
    Praktiker wissen: Die Unterschicht ist ausgesprochen tierlieb. Darum stellen Träger von sozialen Einrichtungen in aller Regel keine Sozialarbeiter mit Tierallergien ein.
    Am Fahrradständer vor dem Supermarkt parkte ein Dogo Argentino, ein Modehund in Deutschlands Underdog-Bezirken. Er war weiß

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