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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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Wohnzimmerwand wuchs ein Berg aus leeren Plastikflaschen bis über die Rückenlehne hinaus. »Cola light« stand auf den Etiketten. Ungesund und teuer gleichermaßen. »Moment mal«, wehrte sich Andrea Thiel, »das muss ich trinken. Ich bin doch Diabetikerin.« Ein Arzt hatte ihr erklärt, dass sie wegen ihrer Krankheit Coca-Cola nicht mehr trinken dürfe. Da war Frau Thiel auf Cola light umgestiegen und verschmähte fortan selbst Wasser oder Tee.
    »Diät kann ich mir nicht leisten.
Körner oder Bio ist bei Hartz IV nicht drin«, behauptete sie. »Das stimmt so nicht«, widersprach die Ärztin Beate Habrecht, Frau Thiels Diabetologin. »Man kann sich als Diabetiker auch mit wenig Geld richtig ernähren.« Andrea Thiel hatte ihrer Ärztin erlaubt, mit mir über sie zu sprechen. Beate Habrecht war eine erfahrene Diabetologin. Die Ausreden ihrer Patientin konnte sie beinahe auswendig mitsprechen. »Patienten mit der Problematik von Frau Thiel haben wir inzwischen viele, und es werden immer mehr.«
    Thiels Form der Diabetes hing eng mit ihrer ungesunden Lebensweise zusammen.
Beate Haberecht berichtete, ein wachsender Anteil der Zuckerkranken sei nicht in der Lage, die Ernährung auf die Erfordernisse der Krankheit einzustellen. Sobald die Ärztin Tacheles mit ihnen redete, wechselten die Patienten den Arzt. Genau wie Andrea Thiel. Zu den vereinbarten Terminen im folgenden Quartal tauchte sie in der Praxis der Diabetologin einfach nicht mehr auf. »Eine typische Wanderpatientin. Die wandert vom einen zum anderen. Irgendwann ist sie dann wieder bei mir.«
    Helmut Heseker, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, sieht eine enge Verbindung zwischen Bildung und gesunder Ernährung: »Weniger gebildeten Personen fehlt oft das vorausschauende Denken und Handeln«, sagt Heseker. »Heute lieber verzichten, um morgen gesund zu sein – also der Belohnungsaufschub, das funktioniert offenbar nicht.« 28
    Diabetes ist eine der Krankheiten, von der die Unterschicht besonders häufig betroffen ist. Im Prinzip gehören fast alle chronischen Krankheiten zu den typischen Unterschichtsleiden. 29 Wissenschaftler können einen engen Zusammenhang zwischen Bildung und dem Gesundheitszustand nachweisen. Menschen mit einem niedrigen Schulabschluss (oder ohne) haben im Vergleich zu der am besten gebildeten Gruppe ein etwa doppelt so hohes Risiko, an Diabetes zu erkranken. Das Schlaganfallrisiko ist drei Mal so hoch. Insgesamt leiden Frauen mit niedriger Bildung etwa doppelt so häufig unter gesundheitlicher Beeinträchtigung, Männer mehr als drei Mal so oft.
    Der Gesundheitszustand der Unterschicht war stets schlechter als der in anderen sozialen Schichten. Früher waren krankmachende Arbeit, ungesunde Wohnverhältnisse und eine mangelnde medizinische Versorgung dafür verantwortlich. All das trifft heute nicht mehr zu: Gesundheitsgefährdende Arbeit gibt es in Deutschland kaum noch. Zudem ist gerade die Unterschicht besonders von Arbeitslosigkeit betroffen. Wohnungen in schlechtem Zustand gibt es so gut wie keine mehr. 30 Auch bei der ärztlichen Versorgung ist die Benachteiligung überwunden. Menschen mit »Armutsrisiko« sitzen 2,5 Mal häufiger im Wartezimmer als jemand ohne »Armutsrisiko«. 31
    Der Grund ist also weniger bei den äußeren Bedingungen des Lebens zu finden, sondern beim Verhalten der Menschen: Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, ungesundes Essen, Bewegungsmangel. Fast alle riskanten Verhaltensweisen werden bei Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss zwischen doppelt und drei Mal so häufig festgestellt wie beim Schnitt der Gesellschaft. Kaum ein Zusammenhang ist von Sozialwissenschaftlern und Medizinern in den vergangenen Jahren so lückenlos nachgewiesen worden.
    Dabei hat sich gesundheitsbewusstes Verhalten in den vergangenen Jahren zu einem großen Trend in dieser Gesellschaft entwickelt. Von diesem Trend hat die Unterschicht sich jedoch abgekoppelt. »Ein gesundheitsförderlicher Lebensstil, gekennzeichnet durch Nichtrauchen und sportliche Betätigung bei nicht erhöhtem Körpergewicht, ist bei Männern und Frauen mit niedriger Bildung zwei Mal seltener anzutreffen als bei denjenigen mit hoher Bildung«, resümiert der Armuts- und Reichtumsbericht. 32
    Mit Geld hat das alles nicht zu tun. Im Gegenteil: Einen Monat rauchen ist teurer als der Monatsbeitrag selbst in einem exklusiven Fitnessstudio. Fast Food ist teurer als Selberkochen. Alkohol ist teurer als selbst gepresster Obstsaft, die Presse

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