Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Die Kosten liefen aus dem Ruder.
Schließlich gingen die Kommunen nach und nach dazu über, mit den »Leistungserbringern« feste Pauschalen zu vereinbaren. Jede Hilfsleistung hat jetzt ihren Preis. Mehr gib t ’s nicht. Aber auch nicht weniger. Das veränderte alles. Durch die Pauschale kam etwas völlig Neues in die Helferwelt: betriebswirtschaftliches Denken. Sparsamkeit und Effizienz sind nun im eigenen Interesse der Hilfsunternehmen.
Wachstum durch Ausbeutung
Die Geschäftsführer senkten die Kosten, dass selbst die gierigsten Heuschrecken vor Neid zirpten. Experten wie Thomas Dane beeindrucken ihre Managerkollegen mit Power-Point-Präsentationen zum Thema Kostensenkung. Die angepriesenen Methoden kommen einem bekannt vor: Löhne runter, Arbeitszeiten rauf, Urlaubs- und Weihnachtsgeld kürzen, Leiharbeiter beschäftigen, Betriebsteile outsourcen.
So wurde die Branche der Barmherzigkeit zu einer Hochburg der Arbeitnehmerausbeutung. In weiten Teilen der Sozialbranche werden den Beschäftigten soziale Grundrechte verweigert. So gibt es bei Diakonie und Caritas kein Streikrecht. Tarifverträge sind in der Arbeitswelt der Helfer nur Theorie. Zur Praxis gehören stattdessen vielerorts KAPOVAZ -Verträge: kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit. Viele Sozialarbeiter haben zwar eine volle Stelle, aber ihr Gehalt ist nur zur Hälfte garantiert. Die andere Hälfte ist kapazitätsorientiert. Wenn es der Geschäftsführung gelingt, bei den staatlichen Stellen Hilfsaufträge an Land zu ziehen, gibt es für den Sozialarbeiter Arbeit und Geld. Wenn nicht, dann nicht. Ein betriebswirtschaftlicher Sinn der KAPOVAZ -Verträge liegt darin, dass die Arbeitnehmer selbst für genügend Aufträge sorgen. Helfer haben kein Interesse daran, dass ihre Klienten jemals unabhängig werden von ihrer Hilfe.
Für das Hilfsunternehmen haben diese Arbeitsverträge noch einen weiteren Vorteil. »Das Betriebsrisiko wird an die Beschäftigten weitergegeben. In der Sozialbranche ist das nicht unüblich«, sagt Stefan Thyroke, der viele Jahre bei der Gewerkschaft verdi zuständig für die Hilfsindustrie war. Für Bernd Maelicke, Direktor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft, passen Schein und Sein in der Branche immer weniger zusammen: »Der Druck für mehr Effektivität und Effizienz führt in der Wohlfahrt immer mehr dazu, dass Leitbilder und Realität nicht übereinstimmen.«
Ergebnis des Lohndumpings: »Die Leistungsentgelte bieten eine Menge Chancen, Überschüsse zu erwirtschaften«, sagt Thomas Dane vom saarländischen Schwesternverband. Ein Beispiel: Viele Jugendämter in Berlin zahlen den Sozialunternehmen eine Pauschale von 48 Euro für eine Stunde Familienhilfe. Davon bekommt der Diplom-Sozialarbeiter zwischen 15 und 17 Euro. Brutto. 39 Sicher, die Sozialfirma muss ein Büro anmieten und der Geschäftsführer braucht ein ordentliches Gehalt plus Dienstfahrzeug. Doch selbst nach einem großzügigen Abzug für solche Organisationskosten, bleibt dem Unternehmen noch ein Renditeanteil, der bei Banken Schampusbestellungen auslösen würde. So funktioniert das Managementmodell: Die Kosten werden gedrückt, die Höhe der amtlichen Pauschalen aber bleibt. Die Differenz ist der Überschuss.
Willkommen in der Marktwirtschaft. Überschuss, Gewinn, Rendite oder Profit – das ist der Treibstoff der die Volkswirtschaften seit Jahrhunderten befeuert. Selbst die Branche, die sich selbst gern als Gegenmodell zum profitorientierten Kapitalismus begreift, kann sich dem Sog des Geldverdienens nicht entziehen. Wenn man ein Produkt herstellt und dabei Profit erwirtschaftet, ist der Anreiz groß, das Produkt möglichst häufig zu verkaufen. Wenn man einem einzelnen Menschen hilft und dabei Überschuss erwirtschaftet, ist der Anreiz groß, möglichst vielen Menschen zu helfen. Betriebswirtschaftlich ist diese Logik zwingend.
Die Marktwirtschaft hat die Firmen effizienter gemacht. Die einzelne Hilfsleistung wurde dadurch preiswerter. Doch das Sparen hat einen gewaltigen Wachstumszwang ausgelöst und immer mehr Hilfsbedürftige geschaffen. Unterm Strich war das Sparen für den Staat eine teure Angelegenheit.
»Viele Hilfsangebote gibt es nicht, weil sie notwendig sind, sondern weil sie finanziert werden«, räumt Andreas Gora ein, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt in Dortmund. Er ist ein erfolgreicher Manager im Hilfsbusiness. In nur zehn Jahren hat seine Firma die Zahl der Mitarbeiter von 500 auf 1000 verdoppelt.
Gora ist sehr
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