Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Fördermöglichkeiten auskennen. Ohne die geht es nicht«, erklärte Baumgarten.
Regenbogen war nicht das einzige Unternehmen in Berlin, das Behinderten half. »Es drängen immer mehr Träger auf den Markt. Da gibt es schon auch Verdrängung«, sagte Baumgarten. Doch die Analysen der Topmanager gaben ihm die Überzeugung, dass die Behindertenhilfe auch in der Zukunft enormes Wachstumspotenzial zu bieten hatte, für sein Unternehmen und für die gesamte Branche. Regenbogen hatte er sehr breit aufgestellt. So konnte er auf jede Entwicklung am Markt reagieren. Genau solche Konzepte hatte Baumgarten an der Uni gelernt und später als Unternehmensberater seinen Kunden verkauft.
Baumgarten verhielt sich genauso wie die anderen Geschäftsführer am Hilfsmarkt. Mit einem Unterschied: Er sprach sehr offen über die Zusammenhänge und das Wirtschaftsgebaren der Branche und ließ sich damit sogar im stern zitieren. 36 Wenige Monate später war er nicht mehr Geschäftsführer von Regenbogen.
Inzwischen gibt es viele Karriere- BWL er wie Baumgarten, die aus einer Unternehmensberatung, einer Bank aus der »normalen« Wirtschaft in die Hilfswirtschaft wechseln. Aber sind die knallharten Manager nicht vollkommen andere Gehälter gewöhnt als die Sozialtarife in gemeinnützigen Einrichtungen? Hans-Robert Walbröl lächelt wissend: »Eine ganz andere Welt ist das heute nicht mehr.«
Walbröl ist bei der Unternehmensberatung Ernst & Young für die Sozialwirtschaft zuständig. »Der Sozialmarkt ist ein großes, wichtiges Betätigungsfeld für uns«, sagt Walbröl. Darum stiftet Ernst & Young einen Preis für die beste Innovation in der Sozialbranche. Feierliche Preisverleihung ist alljährlich auf der ConSozial, der größten und wichtigsten Sozialmesse Deutschlands. Jede Woche gibt es in Deutschland Dutzende Messen der Wohlfahrtbranche. Doch die ConSozial in Nürnberg ist das Gipfeltreffen des Sozialen. Sie ist nicht so groß wie die IAA in Frankfurt oder die CeBit in Hannover, doch sie gehört bereits in die nächstgrößte Kategorie. Und jedes Mal meldet die Messe kräftige Zuwachsraten. Mehr Besucher, mehr Aussteller, mehr Messehallen, mehr Business.
Äußerlich ist diese Leistungsschau der Wohlfahrtsindustrie von anderen Industriemessen nicht zu unterscheiden. Auf Videowänden flackert die schöne Welt des Helfens. Kostümierte Messehostessen stöckeln durch die vollen Gänge und verteilen Werbenippes. Im abgetrennten Teil der Verkaufsstände bieten Ledersitzgruppen Gelegenheit zum diskreten Gespräch über wichtige Deals. Die Sozialfuzzis des 21. Jahrhunderts binden die Haare nicht zum Zopf und schlurfen nicht auf Kreppsohlen durch die Hallen. Das Management der Hilfskonzerne bevorzugt die BWL er-Uniform: Kostüm oder Anzug.
Neue Märkte erkennen, Wachstum generieren, das ist die Kernkompetenz der Manager am Neuen Markt der Hilfe. »Die Branche ist ständig auf der Suche nach neuen Hilfebedarfsfelder«, beobachtet Iris Röthig, die Herausgeberin von Wohlfahrt intern.
Auf der ConSozial ist aus genau diesem Grund »Armut« seit einigen Jahren das heißeste Thema. Unzählige Podiumsdiskussionen und Vorträge beschäftigen sich mit der Frage, wie die professionellen Helfer den »Armen« helfen können. Womöglich findet sich ja noch eine Hilfslücke, die sich schließen lässt. Die Experten tauschen Erfahrungen bei der Auftragsakquise aus. Welches Amt konnte mit welcher Begründung zu welcher Zahlung bewegt werden.
»Der Armutsbegriff ist natürlich genial, ein Geschenk für die Branche«, sagt Iris Röthig. Gemeint ist damit die »relative Armut«, die in Deutschland bereits beginnt, wenn das monatliche Einkommen 60 Prozent des mittleren Einkommens unterschreitet. 37 »Damit ist die Armut garantiert«, sagt Röthig. Auf der ConSozial, dem Marktplatz der guten Taten, fließen die Informationen aus den unterschiedlichen Disziplinen zusammen. Hier kann darum die zentrale Frage von Deutschlands größter Branche beantwortet werden: Woher kommen die vielen zusätzlichen »Kunden« der Wohlfahrtsbranche, ohne die der beispiellose Boom der letzten Jahre nicht möglich gewesen wäre? Die »lernbehinderten« Kinder sind der Nachwuchs überforderter und bildungsarmer Eltern. Das Wachstum in der Kinder- und Jugendhilfe wird von denselben Familien verursacht. Langzeitarbeitslosigkeit wurde in den vergangenen Jahren immer stärker zu einem Merkmal des Lebensstils der Unterschicht. In den »Maßnahmen« der Arbeitslosigkeitsindustrie
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