Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Verhalten in der Gruppe sogar noch besser auswirken. Die Krankenkassen haben die Reittherapie bereits genau nach diesem Verfahren überprüft.
Ergebnis: Der Nutzen ist nicht nachweisbar. 40 Reittherapie ist darum keine Kassenleistung. Das Gesundheitssystem zahlt nicht.
Aber Sozialämter und Jugendämter zahlen. Allerdings nicht überall. Jede Kommune, jedes Amt, oftmals jeder Sachbearbeiter entscheidet selbst, ob eine Hilfsmethode anerkannt wird. Die Beamten haben offenbar ein Herz für Tiere. In den vergangenen Jahren sind überall in Deutschland Zentren für Reittherapie entstanden, inzwischen sind es mehr als 150. 41 Deutschland ist weltweit die Hochburg der Reittherapie, genau genommen sogar die einzige Burg.
Dennoch sagt Henrike Struck, die Chefin des AWO-Reiterhofes in Dortmund: »Derzeit arbeiten wir noch nicht kostendeckend.« Also betreibt die AWO die teure Anlage nicht aus Profitinteresse, sondern weil man vom Nutzen der Reittherapie überzeugt ist. Einerseits. Andererseits: Der Reiterhof gehört juristisch zu den Behindertenwerkstätten der AWO . Die erwirtschaften Überschüsse, die ja laut Gesetz in neue Hilfsangebote investiert werden müssen. Warum nicht mal in einen Reiterhof? Henrike Struck erwartet, dass die Jugendämter dem Reiterhof künftig deutlich mehr Jugendliche schicken werden. Dann wird sich auch das Reiten für sie rentieren. Und so entstehen neue Überschüsse. Und schließlich wieder neue Hilfsangebote. Und immer so weiter.
Die sozialstaatlichen Institutionen überweisen der AWO in Dormund Geld für die Behindertenwerkstätten. Das kommt aus dem Topf »Eingliederungshilfe«. Doch tatsächlich entsteht mithilfe der Zahlungen, die für die Behinderten gedacht waren, ein Reiterhof für benachteiligte Kinder aus der Unterschicht. Womöglich ist das Geld im Reiterhof besser angelegt. Doch entschieden haben die staatlichen Institutionen etwas anderes. »Die Träger subventionieren massiv quer«, sagt Matthias Ninke von der Bank für Sozialwirtschaft, der Hausbank der Hilfsindustrie. »Da werden Erträge aus der Altenhilfe in die Behindertenhilfe investiert oder umgekehrt.«
Ist das erlaubt? »Ich sehe da ein erhebliches, rechtliches Problem«, sagt der Verwaltungsrechtler Ulrich Battis aus Berlin. »In diesem Bereich werden Steuermittel verwendet, ohne dass einer das kontrolliert.« Auch der Sozialwissenschaftler Manfred Neuffer aus Hamburg kritisiert: »Mir fehlt die fachliche und die wirtschaftliche Kontrolle durch den Staat.«
Die Kapitulation vor der Hilfsindustrie
Wenn der Staat baut, macht er am Ende eine Abnahme. Hilfsleistungen werden jedoch von den Behörden schlicht überhaupt nicht kontrolliert. Dazu fehlen den Behörden Personal und Befugnisse. Während die Unternehmen der Sozialbranche boomen, bauen staatliche Stellen kräftig Personal ab. Die Fallmanager haben keine Zeit zu prüfen, ob ein Sozialarbeiter seine Arbeit ordentlich macht, ob er sie überhaupt macht. Und in die Bücher der Hilfsunternehmen darf der Staat nicht schauen. Die Deutsche Bank, jedes Aktienunternehmen, jeder Konzern ist verpflichtet, seine Bilanz zu veröffentlichen. Die meisten Sozialfirmen sind gemeinnützige GmbHs. Das gibt ihnen ein Recht auf Geheimhaltung. Und davon machen sie Gebrauch.
»Im gesamten Sozialmarkt gibt es erhebliche Defizite bei der Kontrolle«, sagt Birgit Galley, Geschäftsführerin von »Forensic Management«. Galley ist spezialisiert auf die »gerichtsfeste Ermittlung von Betrugsfällen« in Unternehmen. Sie gilt als eine der erfahrensten Ermittlerinnen in der Wohlfahrtsbranche. »Es existieren keine Prüfrechte der staatlichen Kontrollinstitutionen«, klagt Galley. »Und die im Sozialmarkt typischen Schachtelstrukturen der Unternehmen verhindern jede Transparenz.«
Das wohl berühmteste Schachtelbauwerk der Hilfsindustrie konstruierte Harald Ehlert, genannt »Maserati-Harry«. Ehlert ist der Gründer der Berliner »Treberhilfe«, die sich um Obdachlose kümmert. Beim Helfen fiel so viel Überschuss an, dass Ehlert sich davon ein Jahresgehalt von über 400000 Euro, eine Villa und einen schwarzen Maserati als Dienstwagen gönnen konnte. Die Hauptstadtprominenz aus Politik, Wirtschaft und Unterhaltungsbranche verkehrte mit dem erfolgreichen Sozialunternehmer – inklusive des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit.
Als die Zeitungen über den Skandal berichteten, wandten sich seine Freunde von ihm ab. Die Staatsanwaltschaft ermittelte. Und ermittelte. Und ermittelte.
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