Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
wächst daher fortwährend der Anteil der Menschen ohne Berufsausbildung und ohne Schulabschluss. Und der Armutsbegriff beschert der Branche stetig neue Betätigungsmöglichkeiten in eben diesem Milieu. Das »Wirtschaftswunder Sozialmarkt« stützt sich also insgesamt auf die Existenz der neuen Unterschicht. Die Hilfsindustrie bekämpft den Lebensstil der Unterschicht nicht. Sie lebt davon.
Gemeinnützigkeit zwingt zum Wachstum
Bei einem Wirtschaftswunder sind Banken und Unternehmensberater nicht weit. Auf der ConSozial demonstrieren sie ihre Bedeutung für die Branche in der größten und schmuckvollsten Halle. »Der deutsche Wohlfahrtsstaat ist ein idealer Wachstumsdünger für Sozialunternehmen. Da wollen wir dabei sein«, erklärte mir ein Mann am Messestand einer internationalen Unternehmensberatung. Er war »Partner« der Beratung und wollte nicht mit Namen zitiert werden. Wozu brauchen soziale Unternehmen eigentlich solche teuren Dienstleister? »Ein wichtiges Thema sind die Regeln zur Gemeinnützigkeit«, sagte der Berater.
Hilfsunternehmen sind fast immer gemeinnützig. Das ist keine moralische Kategorie, sondern ein rein steuerrechtlicher Tatbestand. Gemeinnützig ist ein Verein oder ein Unternehmen, wenn der Vorstand dem Finanzamt einen Brief schreibt, und darin mitteilt, die »Tätigkeit ist darauf gerichtet, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern«. 38 Das Finanzamt prüft nur die formale Korrektheit des Antrags. Dann wird die Organisation als gemeinnützig anerkannt und von der Körperschafts- und der Gewerbesteuer befreit. Umgekehrt darf sie aber auch keinen Gewinn erzielen.
»Die meisten Träger erwirtschaften jedoch ganz ordentliche Überschüsse«, sagte der Unternehmensberater. Wie macht man aus einem Überschuss keinen Gewinn? »Da kommen wir ins Spiel: Wir liefern Strategien, wie aus den Überschüssen Wachstum wird. Nur darum geh t ’s: um Wachstum!«
Genau das verlangt auch das Gesetz: Wenn ein gemeinnütziges Sozialunternehmen gut gewirtschaftet hat und am Ende des Jahres Geld übrig behält, muss es das nicht verbrauchte Geld »reinvestieren«, also neue Hilfsangebote schaffen. Sagen wir ein neues Therapiezentrum. »Im ersten Jahr kaufen sie das Grundstück«, erklärt der Maik Nothnagel vom Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter. »Im zweiten Jahr fangen sie an zu bauen. Im dritten Jahr ist Einweihung. Dann kommen alle: der Bürgermeister, der Landtagsabgeordnete, der Bundestagsabgeordnete. Und die Lokalzeitung macht ein Foto.« Alle freuen sich über die neuen Arbeitsplätze.
Jetzt fehlt nur noch eines: Menschen, denen geholfen werden kann, die therapiert werden können. »Es werden Einrichtungen aus dem Boden gestampft, die alle danach schreien, mit Hilfsbedürftigen gefüllt zu werden«, sagt Professor Wolfgang Hinte von der Uni Duisburg-Essen. »Aufwandmaximierung« nennt das Peter Eichhorn. Der Volkswirtschaftler und Präsident der SRH Hochschule in Berlin hat für die Unternehmensberatung Kienbaum Wachstumskonzepte für die Sozialbranche erstellt. Und noch ein Professor, Ulrich Battis von der Berliner Humboldt-Uni, einer der führenden deutschen Verwaltungsrechtler, sagt: »Der Gewinn muss weg, irgendwie. Da gehen die Unternehmen bis an die Grenze des Möglichen.«
Der Sozialmarkt wächst also nicht nur, weil mehr Menschen Hilfe brauchen, sondern auch, weil die Überschüsse die Hilfsunternehmen zwingen, ihr Angebot permanent zu erweitern. Die Volkswirtschaftslehre nennt das »angebotsinduziertes Wachstum«. Welche Überschüsse sind das eigentlich, die von cleveren Steuerprofis in Wachstum umgemünzt werden? Wie kommt ein Sozialunternehmen, das sich zur »Selbstlosigkeit« verpflichtet hat, zu überschüssigem Geld in der Kasse? »Überschüsse sind auch in gemeinnützigen Unternehmen nichts Verwerfliches«, erklärt Thomas Dane. Er ist Vorstandsvorsitzender des Saarländischen Schwesternverbandes. Davor war er Finanzvorstand des Diakonischen Werkes in Berlin-Brandenburg. »Überschüsse zu erwirtschaften ist völlig normal.«
Aber noch nicht lange. Eine winzige Veränderung im bürokratischen Ablauf löste in den 90er Jahren eine Revolution aus. Sie trägt den Namen »Pauschale«. Früher wurde Hilfe nach dem »Kostenerstattungsprinzip« bezahlt. Wie bei der Spesenabrechnung stellten die Firmen den Ämtern die entstandenen Kosten in Rechnung, egal wie hoch die waren. So gab es keinen Anreiz für die Helfer zu sparen.
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