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Die Aspern-Schriften (German Edition)

Die Aspern-Schriften (German Edition)

Titel: Die Aspern-Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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des Zimmers, das von Milde erfüllte Gesicht mir zugewandt, und ihr Blick voller Vergebung und Verzeihen verlieh ihr etwas Engelhaftes. Er machte sie schöner; sie war jünger, sie war nicht mehr die lächerliche ältere Frau. Diese Besonderheit in ihrem Ausdruck, dieser Zauber ihres Geistes machte eine andere aus ihr, und während ich diese Verwandlung noch auf mich wirken ließ, vernahm ich irgendwo in den Tiefen meines Bewusstseins ein Flüstern: »Warum nicht, warum eigentlich nicht?« Plötzlich hatte ich das Gefühl, ich könnte den Preis sehr wohl zahlen. Deutlicher aber als das Flüstern hörte ich Miss Tinas Stimme. Ich war so verblüfft von dem veränderten Eindruck, den sie auf mich machte, dass ich nicht gleich in aller Deutlichkeit vernahm, was sie zu mir sagte; dann verstand ich, dass sie mir Lebewohl gewünscht hatte – sie sagte etwas in der Art, sie hoffe, dass ich sehr glücklich werde.
    »Leben Sie wohl – leben Sie wohl?« wiederholte ich mit einer fragenden Hebung in der Stimme, und ich hörte mich wahrscheinlich töricht an.
    Wie ich sah, bemerkte sie den fragenden Ton nicht, sie hörte nur die Worte. Sie hatte sich dazu durchgerungen, unsere Trennung hinzunehmen, und meine Worte klangen in ihren Ohren wie ein Beweis dafür. »Reisen Sie noch heute ab?« fragte sie. »Aber es ist ohne Belang, denn wann immer Sie gehen, ich werde Sie nicht wiedersehen. Ich möchte es nicht.« Und sie lächelte seltsam, mit einem Ausdruck von unendlicher Güte. Sie hatte nie daran gezweifelt, dass ich sie am Tag zuvor voller Entsetzen verlassen hatte. Wie hätte sie daran zweifeln können, da ich ja nicht vor Mitternacht zurückgekommen war, um diesem Eindruck zu widersprechen, und sei es auch nur der Form halber, nur als ein Akt von Menschlichkeit? Und nun bewies sie die Seelenstärke – eine Miss Tina mit Seelenstärke war eine ganz neue Vorstellung – mir im Augenblick ihrer Niedergeschlagenheit zuzulächeln.
    »Was werden Sie tun – wohin werden Sie gehen?« fragte ich.
    »Das weiß ich nicht. Ich habe die große Tat vollbracht. Ich habe die Papiere vernichtet.«
    »Vernichtet?« sagte ich ungläubig.
    »Ja; wofür sollte ich sie aufbewahren? Ich habe sie letzte Nacht verbrannt, in der Küche, Stück für Stück.«
    »Stück für Stück?« kam es von mir wie ein Echo.
    »Es hat viel Zeit gebraucht – es waren so viele.« Das Zimmer schien sich um mich zu drehen, als sie das sagte, und einen Moment lang senkte sich völlige Dunkelheit über meine Augen. Als dieser Anfall vorüber war, stand Miss Tina immer noch da, aber mit der Verwandlung war es vorbei, und sie hatte sich in die schlichte, schäbige ältere Frau zurückverwandelt. Und in dieser Rolle hörte ich sie nun sagen: »Ich kann nicht länger in Ihrer Nähe bleiben, ich kann es nicht.« Und noch in derselben Rolle kehrte sie mir den Rücken zu, wie ich ihr den meinen vierundzwanzig Stunden zuvor zugekehrt hatte, und begab sich zur Tür, die in ihr Zimmer führte. Hier tat sie, was ich nicht getan hatte, als ich sie verließ – sie hielt inne, blieb lange genug stehen, um mir einen Blick zuzuwerfen. Ich habe diesen Blick nie vergessen und manchmal leide ich noch immer unter ihm, obgleich er nicht vorwurfsvoll war. Nein, in der guten Miss Tina war kein Groll, nichts Gekränktes oder Nachtragendes; denn als ich ihr später eine größere Summe Geldes schickte, nämlich den Preis für das Bildnis von Jeffrey Aspern, der höher war, als ich dafür zu erlösen gehofft hatte, und ihr dazu schrieb, dass ich das Bild verkauft hätte, behielt sie dankend das Geld; zumindest schickte sie es nie zurück. Ich schrieb ihr, dass ich das Bild verkauft hätte, gestand aber damals Mrs. Prest – diese Freundin traf ich im Herbst in London –, dass es über meinem Schreibtisch hänge. Wenn ich es ansehe, kann ich meinen Verlust kaum ertragen – ich spreche von den kostbaren Papieren.

Venedig kann sehr kalt sein

    Nachwort zu Henry James’ Aspern Schriften

    Von Bettina Blumenberg

    D ie Geheimnisse werden nicht gelüftet. Soeben sind wir Zeuge eines venezianischen Sommers geworden, in dem sich Einmaliges, Unerhörtes abgespielt hat, wie es sich für eine Novelle gehört, doch wie in einem Kriminalstück fangen die Fragen jetzt erst an, noch ist nicht geklärt, wer Täter, wer Opfer ist und ob das Tatmotiv, obskure Dichterworte als Objekt der Begierde, jemals existiert hat. Von dem einen Verdächtigen kennen wir weder den falschen noch den richtigen Namen, von

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